Rhein-Fire-Coach Jim Tomsula im Interview: „Die Fans sollen ruhig vom Titel träumen“

Jim Tomsula war Head Coach in der NFL, verdiente Millionen. Heute trainiert er äußerst erfolgreich das Düsseldorfer ELF-Team Rhein Fire. Was ihn daran reizt, in Deutschland Football-Entwicklungshilfe zu betreiben, erklärt er Tonight News im exklusiven Interview.
Ex-NFL-Coach Jim Tomsula (re.) übernahm 2022 das Traineramt bei Rhein Fire. Foto: Justin Derondeau
Ex-NFL-Coach Jim Tomsula (re.) übernahm 2022 das Traineramt bei Rhein Fire. Foto: Justin Derondeau

Der Sportplatz des TV Kalkum/Wittlaer, einem Stadtteilverein im gut betuchten Düsseldorfer Norden, sieht aus wie Abertausende andere anderswo in Deutschland auch: Ein penibel gepflegtes Kunstrasenfeld, auf dem sich die örtlichen Feierabendkicker auspowern, ein Vereinsheim im Blockhüttenstil, aus dem Wurst- und Biergeruch steigt, und ein Spielfeld, auf dem die braunen Stellen dem grünen Gras die Oberhand abnehmen. Willkommen beim Training von Rhein Fire, dem Titelfavoriten in der European League of Football.

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Acht Siege in acht Partien, darunter gleich zwei Duelle, in denen die Defensive keine gegnerischen Punkte zugelassen hat, zudem ein Quarterback, der mit acht Touchdowns in einer Partie womöglich einen Rekord für die ELF-Ewigkeit aufgestellt hat: es läuft einfach beim Team aus Düsseldorf – trotz der rudimentären Trainingsverhältnisse. Auch, und besonders, weil ein Mann alles im Blick behält und orchestriert: Jim Tomsula.

Rhein-Fire-Coach Jim Tomsula arbeitete 14 Jahre in der NFL

Der 55-jährige US-Amerikaner ist als Head Coach das Gesicht des aktuellen Erfolgs – und aufgrund seiner schillernden Vita ohnehin der Star des Teams. 14 Jahre arbeitete der Sohn eines Stahlarbeiters aus Pittsburgh als Trainer in der NFL, der besten Football-Liga der Welt, verantwortete in dieser Zeit sogar zwischenzeitlich die fünffachen Super-Bowl-Champions San Francisco 49ers als Head Coach.

Jim Tomsula kann bei Rhein Fire auf 14 Jahre NFL-Erfahrung zurückgreifen. Foto: Justin Derondeau

Tomsula hat in diesen Jahren nicht nur seinen Rucksack mit Erfahrungen prall gefüllt, sondern auch seinen Geldbeutel. Allein für seine Head-Coach-Saison in San Francisco kassierte er satte 14 Millionen Euro.

„Mich hat nie das große Geld, das im Football bewegt wird, angetrieben“, erklärt Tomsula nach dem Training im Gespräch mit Tonight News, „für mich war Football in erster Linie ein sozialer Kitt.“ Die Kids, die er orientierungs- und perspektivlos durch seine Heimatstadt streifen sah, waren der Auslöser, die ihn von einer Laufbahn als Trainer träumen ließen. Sie wollte er abholen und in einem geschützten Mannschaftsumfeld stärken. „Was ich mir für mich ausgemalt hatte, war, in einer netten Stadt als Highschool-Coach sesshaft zu werden“, so der heute 55-Jährige.

Dass er nun, nach eineinhalb Jahrzehnten in der NFL, finanziell ausgesorgt und sich voll und ganz dem Projekt Rhein Fire widmen kann, ist einem steinigen Weg zu verdanken.

Jim Tomsula verdiente sein erstes Geld als Coach erst im Alter von 40 Jahren

„Ich habe eigentlich erst im Alter von 40 Jahren begonnen, mit diesem Job Geld zu verdienen (als er als Defensive Line Coach von den San Francisco 49ers eingestellt wurde, Anm. d. Red.), zuvor habe ich eher draufgezahlt, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, als Football-Coach arbeiten zu können. Ich habe ein Jahr in meinem Auto gelebt, um meine Kosten niedrig zu halten, damit von den 700 Dollar Monatsgehalt, die ich erhielt, zumindest irgendetwas für meine Familie übrigblieb“, berichtet Tomsula. Dass diese Seite seiner Medaille in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person oftmals zu kurz kommt, ärgert ihn sichtlich.

„Wenn die Leute mich heute sehen, denken sie direkt an das große Geld, das ich in der NFL verdient habe. Was sie jedoch nicht sehen, ist der Kampf, der mich dorthin geführt hat. Sie interessieren sich nicht dafür, dass ich bei Walmart die Toiletten gereinigt und die Böden gebohnert habe, damit meine Frau und meine Kinder etwas zu essen haben, während ich mich als Coach ausprobierte“, poltert es aus ihm heraus. „Ich wünschte mir, die Menschen würden sich mehr für die Geschichte hinter einer erfolgreichen Person interessieren.“

Jim Tomsula (re.) an der Seite seines Defensive Coordinators Richard Kent (li.). Foto: Justin Derondeau

Ebenso wichtig ist Tomsula, dass die Menschen seine Beweggründe kennen und verstehen, die ihn dazu gebracht haben, dem Football-Eldorado USA den Rücken zu kehren und in Deutschland sportliche Entwicklungshilfe zu betreiben.

„Zunächst einmal hat es ganz egoistische, private Gründe“, beginnt Tomsula seine Ausführung: „Meine Frau und ich haben uns Hals über Kopf in Nordrhein-Westfalen verliebt, als ich 2006 die Head-Coach-Position beim damaligen NFL-Europe-Franchise Rhein Fire innehatte. Die Menschen sind so aufgeschlossen und gesellig, das kommt unserem US-amerikanischen Gemüt sehr entgegen (schmunzelt).“

Rhein-Fire-Coach Tomsula: „Hier kann ich noch etwas aus dem Nichts aufbauen“

Neben der rheinischen Fröhlichkeit, die er bei Spaziergängen und Cafébesuchen in seinem Wohnort Meerbusch aufsaugt, habe die Aufgabe bei Rhein Fire aber auch einen einmaligen sportlichen Reiz. Tomsula: „Hier kann ich noch etwas aus dem Nichts aufbauen, hier kann ich auf eine Art begeistern und fördern, wie es in den USA, wo Football Volkssport ist, nicht möglich ist.“ Auch weil Rhein Fire und die ELF immer noch in der Startup-Phase sind, wie es der erfolgreiche Coach nennt. Diese Phase soll jedoch so schnell wie möglich zurückgelassen werden – auch, damit Tomsula sein persönliches Ziel alsbald erreicht.

„Mein Traum ist es, eines Tages jedem Spieler bei Rhein Fire echtes Profisportlertums zu ermöglichen. Das heißt: morgens aufwachen zu können und mit den Gedanken einzig und allein beim Football zu sein, weil der Sport für den Lebensunterhalt sorgt.“ Denn, Stand jetzt, arbeitet die Mehrzahl des 53-köpfigen Kaders noch Vollzeit in Brotjobs. „Wenn mir das gelungen ist, verabschiede ich mich nach Florida, öffne mir ein Bier und genieße überglücklich mein restliches Leben“, manifestiert Tomsula mit einem lauten Lachen.

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Den Fehler, Rhein Fire als bessere Thekensportler abzustempeln, sollte man dabei jedoch nicht machen. Dafür sorgt Tomsula bereits mit seinem Arbeitsethos. „Als ich zu Rhein Fire kam, habe ich nur eine Ansage gemacht“, erinnert er sich: „Hier wird es professionellen Football geben. Das hier ist keine Hobbytruppe, wo jeder mal den Ball in der Hand haben darf – nein! Alle Übungen und Abläufe, die wir im Training haben, sind NFL-Standard.“

Holt Rhein Fire den ELF-Titel? Tomsula gibt sich wortkarg

Und dieser Standard zahlt sich aus. Vor dem letzten Heimspiel der Regular Season am Sonntag gegen die Hamburg Sea Devils (Kickoff um 16.25 Uhr in der Duisburger Schauinsland-Reisen-Arena) sind Tomsulas „Kids“, wie er das Team in Anlehnung an seine ersten Highschool-Schützlinge nennt, neben den Vorjahres-Champions Vienna Vikings das einzige weiterhin ungeschlagene Team der Liga. Kein Wunder also, dass die Rhein-Fire-Fangemeinde bereits vom ELF-Titel träumt.

„Die Fans sollen ruhig vom Titel träumen“, findet Tomsula – fügt aber auch hinzu: „Wir als Team werden es jedenfalls nicht. Dafür werde ich sorgen.“ Ihn interessiere nur „das nächste Play, das wir einüben. Dass wir genügend Wasser auf der Auswechselbank parat haben. Dass die Spieler eine vernünftige medizinische Betreuung erhalten nach der Partie.“ Der Titel, ja schon die Playoffs, seien für ihn so weit entfernt, dass er keinen einzigen Gedanken daran verschwende. Daran dürfte auch kein Sieg im letzten Heimspiel der Saison etwas ändern.