„Einer gegen alle, alle für einen!“: Videospiele im Zeitalter des neuen Individualismus

“Einer gegen Alle!” lautet das Motto des “Battle Royale”, das im Online-Spiel “Fortnite” die Spitze seiner Popularität feiert.
Foto: Epic Games
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“Einer gegen Alle!” lautet das Motto des “Battle Royale”, das im Online-Spiel “Fortnite” die Spitze seiner Popularität feiert. Mit weit mehr als 125 Millionen aktiven Spielern hat der Titel aus dem Hause Epic Games jegliche Konkurrenz überholt und es sich auf dem Thron der meistgespielten Videospiele der Welt bequem gemacht.

Damit ist “Fortnite” ebenso zum kulturellen Phänomen geworden wie zuvor “Minecraft” oder “World of Warcraft”. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Titel gehen weit über das Spiel hinaus, wandelten sich vom rein digitalen Vergnügen zur selbstbewussten Fangemeinschaft – der Community – bis hin zum modernen Mythos. Wer sich noch immer fragt, woher einige Fußballer bei der WM in Russland ihre eigenartigen Siegestänze hatten: Ja, das war auch von Fortnite inspiriert.

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Im Spiel springen bis zu 100 Spieler aus einem fliegenden Partybus auf einer Insel ab, sammeln Waffen und Ressourcen und kämpfen bis zum letzten Mann gegeneinander. Der Beschreibung nach ist “Fortnite” das, was die ältere Generation unter uns recht leichtfertig als “Ballerspiel” abschreiben würde.

Sicherlich auch ein Grund, warum Fortnite innerhalb sämtlicher Altersgruppen von 10 bis 60 so beliebt ist: Der Grafikstil ist zeitlos, gewitzt. Die Entwickler fanden Inspiration in den Animationsfilmen von Pixar und den Zeichentrick-Klassikern der Looney Tunes. Eine augenzwinkernde Qualität, die der realistischer anmutenden Konkurrenz fehlt.

Um Wartezeiten zu minimieren, schrumpft die Spielumgebung im Laufe der Zeit: Wo sich Spieler anfangs noch frei von Stadt zu Stadt bewegen können, bleibt am Ende nur ein kleines Areal übrig. Reaktionsgeschwindigkeit und Zielgenauigkeit sind dabei genauso gefragt wie Strategie: Wo kann der Gegner lauern, von wo kann er kommen, wo bin ich am besten geschützt?

“Fortnite” bildet durch seine Spielmechanik das Konglomerat einer ganzen Genre-Bewegung, die vom ursprünglichen “Wir als Team” immer mehr zum “Ich für mich alleine” wurde. Dabei lösten sich diese Vorsätze nicht ab, sondern laufen auch heute noch nebeneinander her.

Mittlerweile ist klar: Am “Battle Royale” führt 2018 kein Weg mehr vorbei. Und die Konkurrenz wird nicht müde, den Spielmodus für sich zu beanspruchen und zu variieren: Zuletzt sorgten die Branchen-Riesen Electronic Arts und Activision Blizzard mit der Ankündigung eines eigenen Battle-Royale-Modus für ihre Spiele für Aufsehen.

Einer gegen Alle

Es wäre nachlässig zu denken, dass ein Titel wie Fortnite mit einer weltweiten Spieleranzahl in der Größe der Gesamtbevölkerung Deutschlands und Spaniens, nicht auch Schlussfolgerungen auf gesellschaftliche Trends und Strömungen zuließe: Wie weit sind wir gekommen, dass der Kampf “einer gegen alle” so lohnenswert und motivierend erscheint? Sind es nur Videospieler oder graben wir alle das narzisstische Kriegsbeil aus, um gegen “die anderen” im Alltag bestehen zu können?

Der Grundgedanke ist indes keine neue Erscheinung: Bereits William Goldings Literaturklassiker “Herr der Fliegen” (1954) wies erste Tendenzen des Genres auf. Namensgebend war aber erst der japanische Kult Film “Battle Royale” aus dem Jahr 2000, der auf dem hierzulande beinahe unbekannten Roman von Koushun Takami basiert. Dabei wird eine Gruppe Schüler auf einer Insel ausgesetzt und dazu gezwungen, bis zum Tod zu kämpfen – nach drei Tagen sollen ansonsten alle Schüler durch explosive Halsbänder sterben. Das brutale und dystopische Szenario zog viele Zuschauer in seinen Bann und legte den fiktionalen Grundstein für das “Battle Royale”.

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Das Konzept findet sich auch in TV-Formaten wie “Big Brother” wieder. Oder in der Roman- und Film-Reihe “Die Tribute von Panem”. Spinnt man den Mythos des Battle Royale noch weiter zurück, enthält jede Geschichte, in der sich eine Handvoll Menschen gegen eine Übermacht stellen einen Teil der Battle-Royale-Faszination. Ob David gegen Goliath oder 300 Spartaner, die gegen die persische Armeen des Xerxes in den Kampf ziehen: Der Sieg eines scheinbar aussichtslosen Kampfes ist der Triebmotor vieler großer Geschichten.

An deren Stelle springen heutzutage Videospiele. Statt römischer Gladiatoren kämpfen virtuelle Avatare um Ruhm und Ehre – und auch um jede Menge Geld. Bereits im Mai bestätigte Epic Games, dass man 100 Millionen US-Dollar in offizielle Turniere rund um Fortnite investieren wolle. Für den Fortnite-Entwickler ist diese Summe mittlerweile nicht mehr als ein Klacks: Offiziellen Zahlen zufolge hat Epic Games mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar Umsatz mit Fortnite erwirtschaftet, das wohlgemerkt kostenlos angeboten wird. Für die Einnahmen verantwortlich sind rein kosmetische und optionale Angebote innerhalb der Spielumgebung: 318 Millionen US-Dollar wanderten alleine im Mai für Kostüme und virtuelle Tanzbewegungen über den digitalen Tresen.

Aus “Jeder für sich allein” wird eine Community

Kaum ein Spiel ist so gut als Spiegel der Gesellschaft geeignet wie Fortnite: Trotz der Möglichkeit mit einer Gruppe von bis zu vier Leuten ums Überleben zu kämpfen, ist das Konzept hinter dem Spiel immer noch individualistisch geprägt: Der Spieler will sich im Kampf gegen andere behaupten, er möchte sich möglichst schrill kleiden und kreativ auffallen. Er will sich selbst verbessern. Vielleicht noch wichtiger und einer der Gründe dafür, warum so viele Menschen ihr “Spiel” mittlerweile im Internet über Videoplattformen wie Twitch mit der Welt teilen: Der Spieler will gesehen werden.

Wer sich in Zeiten wie diesen selbst verwirklichen will, wer selbst realisieren will, wo man im Leben steht und wohin die intellektuelle Reise führen wird, der benötigt auch in der virtuellen Welt einen Partner, ein Gegenüber, einen Gegenspieler. Bei einer Partie Schach ist das Spiel auch nur so interessant, wie der Konkurrent es zulässt. Fortnite liefert derer gleich 100. Auf einen Schlag.

Womit wir beim paradoxen Dreh- und Angelpunkt angekommen wären: Trotz der individualistischen, fast schon sozialdarwinistischen Prägung verlangt Fortnite am Ende dann doch nach einer Gemeinschaft, einem breiten Publikum, einer Community. Egal mit welchen Absichten man spielt, egal welche Präferenzen man pflegt: Das Spiel ist nur so gut wie die anderen Spieler.

Auch auf der Gamescom in Köln geben reine “Einzelspieler”-Erfahrungen wieder verstärkt den Ton an. Dennoch lässt sich nirgendwo so schön beobachten, wie sich mehr als 350.000 Gamer aus ihren einsamen Bürostühlen und Sofas erheben, um sich auf einer der größten Spielebühnen der Welt auszutauschen, neben- und miteinander zu spielen und den ewigen Zweiflern mal wieder zu beweisen: Videospiele vereinen und verbinden Menschen. Und Individualismus im Spiel ist nur in den Köpfen der ewigen “Schwarz-Weiß-Seher” etwas Schlechtes.

Infos – Anzahl und Alter von Spielern in Deutschland

Erst kürzlich ließ Game, der Verband der deutschen Games-Branche, verlauten, dass nicht nur die Anzahl der aktiven Gamer wächst, sondern auch das Durchschnittsalter. Demnach gibt es in Deutschland 34,3 Millionen Menschen, die “spielen” – sei es mobil, am PC daheim, oder auf der Konsole.

Der Anteil an Frauen beläuft sich auf 47 Prozent. Das Durchschnittsalter der Spieler steigt auf über 36 Jahre, wobei insbesondere der Anteil der über 50-jährigen stark angewachsen ist. Tatsächlich stellen sie den größten Anteil der Gamer in Deutschland – innerhalb nur eines Jahres wuchs die Zahl der älteren Zocker um 800.000 Menschen auf insgesamt 9,5 Millionen.

Infos – Fortnite Battle Royale

Fortnite Battle Royale ist am 26. September 2017 für PlayStation 4, Xbox One und PC erschienen. Eine iOS-Umsetzung folgte am 2. April 2018, am 12. Juni 2018 veröffentlichte Epic Games das Spiel für die Nintendo Switch. Fortnite Battle Royale ist kostenlos spielbar.

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