„Tatort“ aus Dresden: Darum geht es in „Parasomnia“ – Kritik

Die Dresdner "Tatort"-Ermittler Gorniak und Winkler haben schon einiges gesehen. In "Parasomnia" gruselt es sie dennoch.
Tatort: Parasomnia
Foto: MDR/MadeFor/Daniela Incoronato
Foto: MDR/MadeFor/Daniela Incoronato

Ein ermordetes Kind in der Sporttasche und Leichen auf dem Sofa – die Dresdner „Tatort“-Ermittler haben schon einiges gesehen. Auch mit Psychopathen hatten sie schon zu tun – in ihrem jüngsten Fall gruselt es sie dennoch.

Auf dem Boden liegt ein schwarzer Leichensack im Blut. „Meine Farbdosen, die rote hat ein Loch, und ein Fotoalbum“, antwortet die junge Talia (Hannah Schiller) indes mit geschlossenen Augen auf die Frage: „Was siehst Du?“. Mit der 16-Jährigen haben die Dresdner „Tatort“-Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanzcewski) und Leo Winkler (Cornelia Gröschel) in ihrem neuen Fall eine schwierige Zeugin. Das Erste zeigt „Parasomnia“ an diesem Sonntag um 20.15 Uhr – ein Psychodrama statt klassischer Krimi mit Gruselfaktor.

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Die Tätersuche verlangt auch den beiden Ermittlerinnen und ihrem Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) Einiges ab. Gerade waren die Schröders – Vater und Tochter – nach Jahren an den Ort zurückgekehrt, wo sie als Familie glücklich waren. Ben (Wanja Mues) hat berufliche Pläne und will das heruntergekommene Haus weiter renovieren. Aber auch mit Talia und deren Anhänglichkeit ist er überfordert. „Er ist ein Verzweifelter, ein Suchender, ein mit sich und seinem Schicksal Ringender“, beschreibt Mues seine Figur. „Kein Held, sondern fast ein Antiheld, der versucht, sich aus einem sehr tiefen Loch herauszuarbeiten.“ Und mit Talia habe er eine Verantwortung. „Das zu spielen, ist ein Leckerbissen.“

Das Mädchen hat seit dem Unfalltod der Mutter acht Jahre zuvor einen psychologischen Selbstschutz entwickelt. „Sie macht aus etwas Schrecklichem etwas, das sie verkraften kann“, erklärt Gorniak Schnabel, der am Tatort auf Talias Mund starrt in der Erwartung einer schnellen Aufklärung. Die aber ist nicht in Sicht, denn Talia will sich partout nicht erinnern.

https://twitter.com/Tatort/status/1327208270847766529

Das neue traumatische Erlebnis – sie hat den Mörder überrascht – verstärkt ihre Parasomnie, eine Art Schlafstörung mit Nachtangst und Schlafwandeln. Sie wird von Untoten verfolgt. Die 19 Jahre alte Hannah Schiller spielt das Mysteriöse, als wäre es real: Talias Angst vor der halbverwesten Frau, die ihr allabendlich auf die Pelle rückt, ist fast körperlich spürbar.

„Sie ist sensibler als andere Menschen und sieht Sachen, die nicht da sind“, sagt ihr Vater fast entschuldigend. Für Winkler ist klar, Talia bildet sich den ganzen Spuk – zwei weitere Zombie-Frauen sitzen eines Nachts auf dem Kachelofen in der Zimmerecke – nur ein. Das Mädchen fühlt sich zu der Kriminalistin, die ihrer Mutter ähnlich ist, hingezogen und „adoptiert“ sie kurzerhand – gegen deren Willen.

So ist Winkler dabei, als Talia nachts mit ihrer Taschenlampe in den Park geht, scheinbar getrieben von etwas, das Winkler nicht sieht – und das auch auf dem Handy-Video nicht drauf ist. Der Name der Frau, den Talia nennt, ist die erste Spur in dem Fall – und führt in die Vergangenheit. In der wühlen Gorniak und Schnabel, der wieder einmal den Damen nur assistieren darf.

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Unterdessen wird das Mädchen von drei weiblichen „Geistern“ nachts in den Park gedrängt, auf den Boden gestoßen und gezwungen, in der Erde zu graben. Winkler filmt, wie ihre Finger das Gesicht freilegen, das sie in jeder Nacht aggressiv anstarrt. Es ist eine der Szenen, die erschauern lassen. Die Erkenntnis, dass die „Geister“ Mordopfer sind, löst bei Talia die Sperre zur Erinnerung.

Doch die Lösung des Falles gerät am Ende fast zur Nebensache. Vielmehr dominieren das Verhältnis von Talia zu „Ersatzmutter“ Winkler und deren seelischer Ballast. „Diese beiden Figuren waren für mich ganz klar das Zentrum, nicht der Mörder“, sagt Drehbuchautor Erol Yesilkaya, der 2019 schon mit „Das Nest“ den Nerv des Publikums traf.

Auch der nunmehr 10. Fall des Dresdner Teams ist nichts für schwache Nerven. Regisseur Sebastian Marka („Ein Tag wie jeder andere“) hat die Geschichte gefühlvoll, aufregend und subtil in Szene gesetzt. Bis zum Schluss bleibt offen, wer das Morden vor Jahrzehnten begann. Die Erkenntnis kommt mit Wucht und beinahe zu spät.

dpa