„Tatort“: Das ist die Geschichte hinter den Titeln der Episoden

In den 50 Jahren Tatort hat es die ein oder andere legendären Episode gegeben, Fans werden sich erinnern können.
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Foto: picture alliance / dpa
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„Hast Du den neuen ‚Tatort‘ gesehen?“, „Wie fandest Du den Münster-‚Tatort‘ am Sonntag?“: Dass die Episoden von Deutschlands berühmtester Krimireihe auch individuelle Filmtitel haben, geht schnell unter. Doch es gibt Ausnahmen.

Um sich im immer größer werdenden Dschungel der „Tatort“-Episoden zu orientieren, benutzen Fans meistens zwei Beschreibungen: „der neue“ und dann kommt noch die Stadt dazu, in der er spielt.

Doch es gibt auch Folgen aus der liebsten Krimireihe der Deutschen, die in diesem Jahr 50 Jahre alt wird, deren Filmtitel tatsächlich im kollektiven Gedächtnis geblieben sind. „Reifezeugnis“ aus dem Jahr 1977 ist so ein Beispiel. Woran liegt das?

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„Natürlich muss ein Titel, der im Gedächtnis bleibt, ein bisschen was mitbringen“, sagt Christian Hißnauer vom Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin, der sich intensiv mit dem Format auseinandergesetzt hat.

„Bei diesen Standard-Titeln ‚Tod in…‘, ‚Mord auf…‘ – da wird es schwierig. Man muss mit dem Titel irgendwas verbinden können. ‚Tod im Häcksler‘ zum Beispiel. Da hat man gleich ein Bild vor Augen.“

In dem Film aus dem Jahr 1991 ermittelte die heute dienstälteste Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) an der Seite eines jungen Dorfpolizisten (Ben Becker) nach dem Verschwinden eines Aussiedlers.

„‚Wegwerfmädchen‘ ruft auch gleich ein Bild auf, auch weil das Bild des Mädchens im Müll damals durch die Presse gegangen ist. Wenn ein Titel in Erinnerung bleibt, liegt das meistens daran, dass er mit einem Thema verknüpft wird oder einem besonderen Clou. Wenn die Folge für mich außergewöhnlich war, dann erinnere ich mich eher an den Titel, als wenn es ein ‚Tatort‘ neben vielen ist.“

Skandale, eine besondere Ästhetik und Filme, die für ihre Zeit besonders auffällig inszeniert waren, steigern die Chance darauf, dass der Filmtitel nicht unter den Hunderten anderen untergeht.

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„Frankfurter Gold“ von Regisseur Eberhard Fechner nennt Hißnauer als Beispiel, „Ein ganz gewöhnlicher Mord“ von Dieter Wedel oder etwas jünger „Im Schmerz geboren“ von Florian Schwarz mit Ulrich Tukur und den bis dahin meisten „Tatort“-Toten aller Zeiten.

Ähnlich sieht das auch die Medienwissenschaftlerin Joan K. Bleicher von der Universität Hamburg. „Vielleicht sind ja gar nicht die Titel ausschlaggebend, sondern der besondere Inhalt“, sagt sie.

Hinter bekannten Titeln verbergen sich ihrer Ansicht nach „besonders rührende, sehr eindrücklich gespielte und auch gut erzählte ‚Tatort‘-Episoden. Das Standardprogramm wie etwa Mord aus Habgier oder Eifersucht ist schnell vergessen. Es sei denn, Curd Jürgens spielt in ‚Rot – rot – tot'“.

Aus Sicht von Hißnauer hilft es auch, wenn der Titel „nicht zu kompliziert“ ist. „Sprichworte in Abwandlungen können interessant sein, aber wenn ich damit nichts verbinde, kein Bild, dann bleiben sie auch nicht im Gedächtnis.“

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Als Beispiel nennt er die Titel der Weimarer-„Tatorte“ mit den Kommissaren Dorn (Nora Tschirna) und Lessing (Christian Ulmen), die zwar durch ihre Wortspiele („Die Fette Hoppe“, „Der wüste Gobi“) immer schnell als „Tatort“ aus der Stadt von Schiller und Goethe identifizierbar sind. „Aber welcher Film dann jeweils genau dahinter steckt, da wird es dann schon schwieriger.“

Ähnlich sieht er das auch bei den Kieler „Tatorten“, die stets beginnen mit „Borowski und…“. „‚… der stille Gast“ ist da der einzige, zu dem einem gleich die Geschichte einfällt“, sagt Hißnauer. In dem Film kam Lars Eidinger als irrer Serienkiller Kai Korthals „einfach durch die Wand“.

Eine „gewisse Kanonisierung“ spiele eine wichtige Rolle in der Frage, welche „Tatort“-Titel im kollektiven Gedächtnis bleiben und welche im sonntäglichen Grundrauschen verschwinden.

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Die Folge „Reifezeugnis“ von Wolfgang Petersen mit Nastassja Kinski sei so ein Fall, „auch wenn viele denken, sie hieß ‚Reifeprüfung'“. Oder „Taxi nach Leipzig“, der erste „Tatort“ aus dem Jahr 1970. „Den ersten ‚Tatort‘ kennt jeder, den zweiten schon keiner mehr“, sagt Hißnauer. Der hieß übrigens „Saarbrücken an einem Montag“.

Eine gute Chance, in Erinnerung zu bleiben, hätten auch die Titel „grottenschlechter ‚Tatorte'“, sagt Hißnauer und nennt als Beispiele „Ein Hauch von Hollywood“ und „Der gelbe Unterrock“, „wobei der wirklich unterschätzt wird“.

In dem Buch „Föderalismus in Serie – Die Einheit der ARD-Reihe ‚Tatort‘ im historischen Verlauf“, das Hißnauer gemeinsam mit Stefan Scherer und Claudia Stockinger auf den Markt gebracht hat, heißt es: „Von den 1970er bis zu den 1990er Jahren dominieren thematisch orientierte Titel, die den Fall explizit ankündigen, während danach häufiger auch poetische beziehungsweise mehrdeutige Titel verwendet werden.“ Insgesamt fielen die „Titel und ihre Logiken“ aber „so vielgestaltig aus, wie es der „Tatort“ selbst ist“.

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Einen wirklichen Titel-Trend sieht Hißnauer auch heute nicht. Einwort-Titel wie zuletzt im Münster-„Tatort“ „Limbus“ seien recht häufig. „Und ich habe das Gefühl, dass diese klassischen Titel ‚Tod in, Mord auf‘ aufgebraucht sind – auch weil man versucht, Dopplungen zu vermeiden.“

Das gelang den „Tatort“-Machern allerdings über die Jahre nicht immer. Einige Titel gab es durchaus doppelt: „Taxi nach Leipzig“ ganz absichtlich, weil die 1000. Folge zum Jubiläum 2016 an den Anfang erinnern sollte, manchmal geschieht das aber auch versehentlich.

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„Zwei Brüder“ gab es 1976 und 2017 nochmal, „Rache-Engel“ im Jahr 2005 mit Bindestrich und 2007 ohne. Auch die Titel „Die Abrechnung“, „Kassensturz“, „Aus der Traum“, „Spielverderber“, „Herzversagen“, „Brüder“ und „Zahltag“ wurden doppelt vergeben. Hißnauer sagt: „Bei mehr als 1140 Folgen kann man schonmal den Überblick verlieren.“

dpa