Der neue „Tatort“ beginnt mit einem Albtraum

Ein toter Junge und Familien mit dunklen Geheimnissen: Im Fall der Münchner „Tatort“-Ermittler Leitmayr und Batic erinnert vieles an einen Krimi-Erfolg.
Tatort
Foto: Hendrik Heiden/BR/Bavaria Fiction GmbH/dpa
Foto: Hendrik Heiden/BR/Bavaria Fiction GmbH/dpa

Ein toter Junge und zwei Familien mit dunklen Geheimnissen: Im neuen Fall der Münchner „Tatort“-Ermittler Leitmayr und Batic erinnert vieles an einen britischen Krimi-Erfolg.

Es ist der Horror aller Eltern: Das Bett im Kinderzimmer ist plötzlich leer. Mit diesem Alptraum beginnt der neue „Tatort“ aus München. Die altgedienten Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) müssen herausfinden, wer Emil (Ben Lehmann) getötet und in die Isar geworfen hat. Die Antwort – soviel sei vorweggenommen – ist ziemlich erschütternd.

Während ihr Mann noch sagt, der Junge sei bestimmt schon zur Schule gefahren – oder bei einem Freund, schleicht Emils Mutter Judith (stark: Laura Tonke) längst ein mulmiges Gefühl in die Knochen. Warum hat ihr Mann nicht mehr nachgeschaut, ob Emil wirklich im Bett liegt, als die beiden nachts von Freunden nach Hause kamen? Warum hat ihr Sohn seine Sporttasche nicht mit in die Schule genommen, obwohl er Sportunterricht hat? Wo ist Emil? Die traurige Antwort bringen Leitmayr und Batic.

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Der Beginn der neuen Episode mit dem Titel „Lass den Mond am Himmel stehen“ erinnert streckenweise stark an den britischen Serienerfolg „Broadchurch“. Auch dort ist es die Mutter, der nach und nach immer mehr Ungereimtheiten wie das nicht mitgenommene Pausenbrot auffallen und von der darum zunehmend die Panik Besitz ergreift. Wie die Erkenntnis, dass etwas Furchtbares geschehen ist, langsam einsinkt, ist nicht die letzte Parallele.

Wie auch in „Broadchurch“ gelingt es den Machern dieses „Tatorts“ um Regisseur Christopher Schier, jeden verdächtig erscheinen zu lassen: Der Stiefvater (Lenn Kudrjawizki), der nicht nach dem Stiefsohn sah, atmet so seltsam durch, als er vom Auto zum Haus geht. Emils bester Freund Basti (Tim Offerhaus), der von Emil genervt war, ist so seltsam verschlossen und schnappt sich dessen teuren Fernseher, als die trauernde Mutter ihm anbietet, er solle sich doch als Andenken an seinen besten Freund etwas aus Emils Zimmer nehmen. Wie sehr der Junge in seiner eigenen Welt lebt, wird deutlich, als Batic sein Zimmer durchsuchen will. Die Aktion sieht der Zuschauer allein durch Bastis Augen – mit Gangsta-Rap-Soundtrack, weil der Junge Kopfhörer trägt und laute Musik hört. Eine der starken Szenen des Films.

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Und was ist mit Bastis Eltern? Warum können sie der trauernden Judith nicht in die Augen sehen? Und welche Rolle spielt ihre hübsche, gerade 18 Jahre alt gewordene Tochter Hannah (Lea Zoe Voss) in der ganzen Geschichte? Was ist auf diesem Parkplatz passiert, einem bekannten Sextreff, auf dem Emils Fahrrad gefunden wurde? Und welche Rolle spielt die Schule, in der es, wie der erklärte Schulhasser Batic bemerkt, immer riecht nach „Angst, Schweiß und Liebeskummer“?

Neben der Frage nach dem „Wer war’s?“ nehmen auch die Trauer und der unerträgliche Schmerz der Mutter großen Raum ein im Film. Der leere Stuhl am Esstisch, die leere Schaukel, die sich im Wind bewegt, der Fußball, der verlassen auf dem Rasen liegt – und die Unfähigkeit ihres Umfeldes, der Mutter in ihrer Not beizustehen.

Ziemlich zum Schluss zitiert Leitmayr Voltaire: „Den Lebenden schuldet man Respekt, den Toten die Wahrheit“, sagt er und fügt hinzu, dass er diesen Satz eigentlich falsch findet. „Ich finde, man schuldet auch den Lebenden die Wahrheit.“

Die ganze gibt es dann allerdings doch nicht. Heftige Konfliktlinien in den beiden befreundeten Familien werden immer wieder angedeutet, ohne komplett auserzählt zu werden. Dafür fehlt bei einem 90-Minüter dann wohl – im Vergleich zur Serie – einfach die Zeit. Aber dass man gerne noch mehr gesehen hätte, ist ja auch nicht das Schlechteste, was man über einen Münchner „Tatort“ sagen kann.

dpa