„Ich bin auch nur ein Mensch“: Sophia Thiel macht Pause – eine Warnung für die Branche

"Ich brauche Zeit, um zu mir zurückzufinden." Der Rückzug der populären Fitness-Influencerin Sophia Thiel hat Schlagzeilen gemacht.
Foto: Sven Hoppe/dpa
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„Ich brauche Zeit, um zu mir zurückzufinden.“ Der Rückzug der populären Fitness-Influencerin Sophia Thiel aus den sozialen Medien hat Schlagzeilen gemacht – und wirft Fragen auf über den Druck in einer nur vermeintlich leichtfüßigen Branche.

Ein eigenes Fitness-Unternehmen, ein eigenes Magazin, Auftritte auf dem roten Teppich, mehr als eine Million Follower bei Instagram, fast eine Million Abonnenten bei Youtube. Der Fitness-Star Sophia Thiel („Fit & stark mit Sophia“) hat eine steile Karriere gemacht. Aus ihrer persönlichen Abnehm-Geschichte hat sie eine beeindruckende Erfolgsgeschichte gemacht.

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Doch jetzt hat sie – mit erst 24 Jahren – die Reißleine gezogen. In der vergangenen Woche postete Thiel einen Clip, in dem sie erklärte, warum sie sich aus ihren Social-Media-Kanälen zurückziehen wolle. „Ich brauche Zeit, um zu mir zurückzufinden.“ Ihr Erfolg sei atemberaubend gewesen. Aber es gebe „immer zwei Seiten der Medaille“.

„Man verspürt immer den Druck, präsent zu sein und frischen Content zu produzieren – wobei das eigentlich schon fast einem Fulltime-Job gleicht.“ Weiter über ihre Entscheidung sprechen will Thiel im Moment nicht. „Sophia ist im Ausland und steht bis auf weiteres für ein Interview nicht zur Verfügung“, heißt es von ihrem Management.

https://www.youtube.com/watch?v=gugFku3QYEI

 

Schon vor ihrem Rückzug hatte es Spekulationen gegeben, warum die 24-Jährige sich rar machte in den sozialen Netzwerken. Dass sie wieder an Gewicht zugelegt habe, wurde gemutmaßt. Sie sei nicht von Natur aus schlank, müsse sehr diszipliniert sein, sagt Thiel in ihrem Rückzugs-Clip.

Der Bauer-Verlag hat die zweite Ausgabe des „Sophia Thiel Magazins“ vorerst auf Eis gelegt. Erst wenn sie sich „wieder vollkommen erholt hat“ sollen weitere gemeinsame Projekte besprochen werden, teilt der Verlag mit und wünscht ihr „für die nächsten Wochen und Monate viel Kraft“. Thiel sagt, sie habe zuletzt nur noch funktioniert, „wie eine Maschine“. Von der „gewissen Leichtigkeit“, mit der sie einst startete, sei „leider inzwischen nicht mehr viel übrig geblieben“.

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Jetzt müsse sie Kraft tanken. „Das ist ein wichtiges Thema“, meint die Influencerin Victoria van Violence (194.000 Instagram-Follower). Im vergangenen Jahr hat sie ein Buch über ihre Depression veröffentlicht – und darin auch die Rolle thematisiert, die ihr Job dabei hatte. „Man steht unter einem wahnsinnigen Druck. Das hängt damit zusammen, dass man immer liefern muss. Für diejenigen, die das hauptberuflich machen, ist das ein Sieben-Tage-Job. Die haben inzwischen Teams. Da bist Du Chef von einer Firma.“

Die 30-Jährige beschäftigt eine Assistentin. „Anders geht das gar nicht.“ Die Esslinger Psychologin Friederike Gerstenberg vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) nennt das „ein interessantes Phänomen“. „Instagram ist in weiten Teilen kommerziell geworden, und insofern kann da natürlich auch berufsbedingt ein Burnout passieren.“

Influencer-Branche wächst – die Erwartungshaltung aber auch

Nach Angaben des 2017 gegründeten Bundesverband Influencer Marketing (BVIM) steht die Branche kurz davor, die Milliarde zu knacken. Der Verband geht davon aus, dass der Branchenumsatz in Deutschland, Österreich und der Schweiz im kommenden Jahr bei 990 Millionen Euro liegen wird. Schätzungsweise verdienen im deutschsprachigen Raum bis zu 165.000 Menschen mit Instagram, Blogs oder Youtube-Videos Geld.

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„Man denkt natürlich als Außenstehender: Wie kompliziert kann das sein, ab und an ein Selfie hochzuladen? Aber allein für ein solches Bild brauchen diejenigen, die das hauptberuflich machen, anderthalb Stunden“, sagt Gerstenberg. Es sei wahnsinnig aufwendig, die Kommunikation zu moderieren und aufrecht zu erhalten. „Wenn ich was poste, muss ich ansprechbar sein.“

Influencerin Victoria van Violence hat vor allem mit einer Sache zu kämpfen: Erwartungshaltungen. „Man soll authentisch und perfekt sein – aber beides gleichzeitig geht nunmal nicht. Fehler werden im Internet immer weniger verziehen. Man wird immer wieder mit dem Maßstab von anderen gemessen und das kann man ja nie empfehlen.“

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Als linksgrünversifft sei sie, die sich vor allem politisch äußert und vegan lebt, beschimpft worden. „Und dann kamen die Anti-Veganer.“ Und heute, so sagt sie, gehen von Zeit zu Zeit sogar die Veganer auf sie los. „Inzwischen hat man die Kritiker auch in den eigenen Reihen, die einen dann wegen persönlicher Konsumentscheidungen anprangern.“

Ein Beispiel: Weil sie gebrauchte Lederschuhe kaufte, wurde sie angefeindet. „Das ist wahnsinnig anstrengend.“ Influencer hätten inzwischen eine Vorbildfunktion, die keine Fehler erlaube, sagt Psychologin Gerstenberg. „Ich muss Angst haben, dass der Shitstorm über mich hereinbricht, weil eine Plastiktüte im Hintergrund irgendwo rumliegt. Jedes winzige Detail spielt eine Rolle und das setzt einen natürlich unglaublich unter Druck.“

Das gelte vor allem, wenn man sich – wie Sophia Thiel – einem bestimmten Thema leidenschaftlich verschrieben habe. „Wenn ich Öko-Influencer bin, muss ich gucken, dass ich vor mir kein McDonald’s Meal auspacke und wenn ich Fitness-Influencer bin, kann ich keine Pommes essen und einen dicken Bauch zeigen.“

 

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Eine weitere Gefahr: nicht abschalten zu können. 24 Stunden am Tag präsent und verfügbar sein zu müssen, mache nicht nur Stress, sondern berge auch eine Suchtgefahr. „Das neurophysiologische Feedback des Herzchens unter einem Instagram-Bild oder einem Kommentar kann süchtig machen, weil man merkt: Ich werde gesehen.“

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Viele Influencer und Social-Media-Stars verordnen sich selbst inzwischen ab und an eine Pause, um mal durchatmen zu können, sagt die Psychologin. Victoria van Violence hat da eine andere Strategie: „Ich zeig mich ungeschminkt, kann auch mal einen Fehler eingestehen und will zeigen: Ich bin auch nur ein Mensch.“ Und sie hat einen Plan: „Ich will mir jetzt einen Wecker kaufen – damit ich das Handy erst nach dem Frühstück in die Hand nehmen muss.“

dpa