Sandro Wagner als Kommentator: Weit genug weg und nah genug dran

Wie zu seiner aktiven Zeit musste Sandro Wagner auch als Kommentator erst einen Rückschlag wegstecken, um später durchzustarten. Wie sehr sich die Laufbahnen ähneln, warum er heute beliebter ist als früher und warum Wagner als TV-Experte den Nerv der Zeit trifft.
Sandro Wagner 2018
Foto: Sven Hoppe/dpa
Foto: Sven Hoppe/dpa

Müsste man eine Überschrift für Sandro Wagners Lebenslauf finden, könnte diese zum Beispiel lauten: „Der Mann, der nicht gesehen wurde“. Seine Karriere als Kommentator ähnelt der aktiven Laufbahn auffällig. Einziger Unterschied: Heute geht alles schneller.

Bereits zu seiner aktiven Zeit dauerte es seine Zeit, bis der Stürmer in der Bundesliga erst in Darmstadt und dann in Hoffenheim derart stark aufspielte, dass er sich für noch höhere Aufgaben empfahl und letztlich von seinem Jugendklub, keinem Geringeren als dem FC Bayern München, zurückgeholt wurde.

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Mittlerweile ist Sandro Wagner nicht mehr aktiv, dem Fußball ist er allerdings erhalten geblieben – als Co-Kommentator und TV-Experte. Sein Debüt feierte er am 23. August 2020 im Rahmen des Champions-League-Finales zwischen dem FC Bayern München und Paris Saint-Germain für das ZDF.

DAZN holt Wagner, ZDF verpflichtet Mertesacker

Doch nur einen Monat später gab es einen bemerkenswerten Wechsel: Wagner schloss sich DAZN an, das ZDF warb im Gegenzug Per Mertesacker vom Streamingdienst ab. Der dahintersteckende Gedanke der Verantwortlichen in Mainz lag auf der Hand: Sicherheit. Binnen kürzester Zeit allerdings bewies Wagner, dass der sichere Weg nicht immer der bessere ist. Von Beginn an erwies er sich für DAZN als Glücksgriff – und damit nicht zuletzt auch für die Zuschauer.

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Weg von der statischen und zeitweise angestaubt wirkenden Fußball-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender fand sich der 1,94-Meter-Hüne plötzlich in einem Umfeld wieder, das wie für ihn geschaffen war – und blühte regelrecht auf. Ob er bei DAZN mehr Freiheiten genoss als beim ZDF, darüber kann nur spekuliert werden.

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Fest steht hingegen, dass sein rhetorisches Talent gepaart mit seinem Fußball-Sachverstand sowie den Erfahrungen aus seiner aktiven Zeit und einer anderswo schmerzlich vermissten Prise Mut ihn als Co-Kommentator schon jetzt weit gebracht haben.

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Dass Wagner es im Fernsehen einmal weit würde bringen können, hätte man als ganz aufmerksamer Zuschauer schon früh erkennen können. In Interviews zu seiner aktiven Zeit spielte er gerne mit Worten. Das Problem: Nicht wenige Menschen legten ihm seine selbstbewussten Aussagen als Arroganz aus. Zu interessieren schien Wagner das jedoch nicht wirklich. Im Gegenteil: Aussagen wie jene, dass Fußballprofis teilweise unterbezahlt seien, verstärkten das arrogante Bild, das ein weiter Teil der Gesellschaft von Wagner hatte.

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Sandro Wagner kann über sich selbst lachen

Was viele damals noch nicht wussten: Wagner besitzt eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstironie. Als Kommentator macht er von dieser hier und da Gebrauch – etwa, wenn er misslungene Aktionen kritisiert, im gleichen Atemzug jedoch auch passende Anekdoten aus seiner Karriere zum Besten gibt. Ob das Wissen der breiten Masse um eine solche Fähigkeit ihn damals beliebter gemacht hätte? Reine Spekulation. Vielleicht wäre seine Karriere etwas anders verlaufen, vielleicht stünde er aber auch nicht da, wo er heute steht.

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So dürfen wir uns an seinen Künsten als Kommentator erfreuen: Der 33-Jährige lässt zuweilen einen flapsigen Spruch los, wirkt dabei aber nie inkompetent. Er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, dem etwas erfahreneren Fußball-Fan – vor allem in taktischer Hinsicht – noch etwas beibringen zu wollen. Bei strittigen Entscheidungen vertritt er eine klare Meinung. Mit seinen Ausflügen in die Gedankenwelt der Spieler, Trainer und Verantwortlichen, die auf eigenen Erfahrungen beruhen, schafft er eine Ebene, die man bei Kollegen vergebens sucht. Er ist auf seinem Kommentatoren-Platz weit genug weg, um das Spiel sachlich zu kommentieren, aber trotzdem nah genug dran, um die Perspektive der Spieler einzubringen.

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Zusammengefasst: Sandro Wagner polarisiert. Er ist einer der „Typen“, die im Fußball zwar immer wieder gefordert werden, deren Spezies aber vom Aussterben bedroht zu sein scheint. Seine klare Kante, die ihm als Profi allerdings zur Last gelegt wurde, trifft nun, da er Kommentator ist, voll und ganz den Nerv der Zeit.

Sandro Wagner: Co-Kommentator im ZDF bei der EM 2021

Klar, verglichen mit Per Mertesacker oder Bastian Schweinsteiger hat Wagner eine deutlich weniger erfolgreiche fußballerische Karriere hingelegt. Was den Kommentatoren-Job angeht, ist er den beiden Weltmeistern von 2014 allerdings gefühlt um Lichtjahre voraus. Während ARD und ZDF das Publikum mit schwerfälligen Analysen fast schon belasten, weht bei DAZN dank Wagner ein noch frischerer Wind als ohnehin schon.

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Das alles haben wohl längst auch die Verantwortlichen beim ZDF gemerkt. Wie sonst ließe sich erklären, dass sie Wagner kurz vor der EURO 2020 davon überzeugen konnten, für die EM-Berichterstattung zurückzukehren? Und so entpuppt sich das „Zweite“ im Nachhinein als eine Art FC Bayern München – der Wagners Qualität erst verkannte und letztlich doch zu schätzen weiß.

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„Der Mann, der nicht gesehen wurde“ wurde am Ende also doch wieder gesehen.

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