In Triest baden Frauen und Männer getrennt voneinander – mithilfe einer Mauer

Seit 1903 Jahren wird am "El Pedocin" in Triest geschlechtergetrennt gebadet. Das italienische Strandbad ist das letzte seiner Art in Europa.
Triest Badestrand El Pedocin
Foto: Alvise Armellini/dpa
Foto: Alvise Armellini/dpa

Am „El Pedocin“-Strand in Triest wird seit 117 Jahren geschlechtergetrennt gebadet. Das italienische Strandbad ist wahrscheinlich das letzte seiner Art in Europa. Die Badegäste sind mit dem System zufrieden.

Einst war Triest ein Außenposten des Westens am Eisernen Vorhang, das kommunistische Jugoslawien war nicht weit. Mit dem Ende des Kalten Krieges fielen viele trennende Grenzen und Mauern – aber eine gibt es noch in der norditalienschen Hafenstadt: jene im Strandbad „Bagno alla Lanterna“. Eine weiß getünchte Mauer trennt Männer und Frauen in dem bei Ortsansässigen als „El Pedocin“ bekannten Strandbad.

Nach Informationen der Triester ist es der letzte Strand in Europa, an dem die Geschlechter sich getrennt sonnen. „Es ist vielleicht paradox, aber diese Mauer macht uns freier“, sagt die Grundschullehrerin Sabrina Pecchiari an einem sonnigen Sonntag im Jahr 2017.

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Das Bagno gibt es seit 1903. Damals war Triest unter österreich-ungarischer Herrschaft. Die Institution überdauerte die K.u.k.-Monarchie, zwei Jahrzehnte Faschismus, zwei Weltkriege, Besatzung durch die Alliierten und alle weiteren Umwälzungen der vergangenen Dekaden. Ursprünglich trennte ein Zaun die Geschlechter, der später durch eine Mauer ersetzt wurde. Sie wurde nur einmal niedergerissen und versetzt – und zwar 1959, als der Frauenbereich auf Kosten der Männer vergrößert wurde.

„Frauen lieben diesen Ort, weil er ihnen Privatsphäre bietet“, sagt die Journalistin und Autorin Micol Brusaferro. „Wenn keine Männer da sind, dann sind ein paar Extra-Kilos oder nicht perfekt gewachste Beine kein Problem.“ Italien sei vielerorts noch immer eine Macho-Gesellschaft und Frauen stünden unter Druck, stets toll auszusehen. „El Pedocin“ gibt ihnen die Möglichkeit, Konventionen zu brechen. Am Strand Bagno marina La Lanterna können auch 80-Jährige im Stringtanga oder oben ohne baden, wenn sie dazu Lust haben, sagt Brusaferro.

Männer dagegen schätzen das Strandbad, weil sie hier Ruhe vor ihren nörgelnden Gattinnen haben, sagt auf der anderen Seite der Mauer Gianmarco, der seinen vollen Namen nicht nennen will. Sein Vater Elio steht daneben und nickt zustimmend.

Seinen Spitznamen hat das Bagno den Einheimischen zufolge übrigens entweder von der Triester Dialektbezeichnung für Muscheln (pedoci) oder für Läuse (pedocio). So soll es in der Nähe früher eine Muschelfarm gegeben haben und österreich-ungarische Soldaten nutzten den Strand für ihre Körperpflege.

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Das Strandbad, das einen Katzensprung vom Stadtzentrum entfernt liegt, ist normalerweise das ganze Jahr über geöffnet und im Sommer kommen etwa 3000 Badegäste am Tag. Der Eintritt kostet nur einen Euro. Heute, in Zeiten von Corona, ist der Zutritt in zwei Zeitfenstern möglich: von 7.30 Uhr bis 13 Uhr und von 14 Uhr bis 19.30 Uhr. Wer möchte, kann ein monatliches Abo für eines der beiden Zeitfenster erwerben. Wer sich nicht auf seinem Platz aufhält, muss eine Maske tragen:

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Rentner machen im Übrigen einen Großteil der Bagno-Besucher aus. Das Strandbad ist aber auch bei Arbeitern in ihrer Mittagspause und bei Kindern beliebt. Bis zum Alter von zwölf Jahren dürfen sie zwischen der Männer- und Frauenzone hin und her flitzen. Teenager und junge Erwachsene ziehen andere Strandclubs vor. Allerdings bräunen so manche junge Triesterinnen vor Beginn der sommerlichen Flirt-Saison im „Pedocin“ vor.

Neben Kindern sind auch die Rettungsschwimmer von der Geschlechtertrennung ausgenommen. Trenne man Frauen und Männer, bringe das manchmal die schlechtesten Seiten beider Geschlechter zutage, sagt Rettungsschwimmerin Francesca Azzarelli lachend. „Bei den Männern hört man viele Macho-Witze. Opas etwa, die nach einer Mund-zu-Mund-Beatmung fragen. Auf der anderen Seite gibt es mehr Gezänk. Kürzlich mussten wir eingreifen und einen Streit um einen Schattenplatz schlichten“, erzählt die 25-Jährige.

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Einmal im Jahr, bei einem großen Sommerfest mit Musik und Tanz, feiern Männer und Frauen gemeinsam im „Pedocin“. Diese Szenen wurden auch in einer Dokumentation über das Strandbad festgehalten. „L’Ultima Spiaggia“ (auf Deutsch etwa: Der letzte Zufluchtsort) hatte beim Filmfestival in Cannes 2016 Premiere und war ein großer Hit in den Triester Kinos. „‚El Pedocin‘ ist magisch. Ich kenne keinen anderen solchen Ort in Europa, oder irgendwo sonst auf der Welt“, sagt der griechische Co-Regisseur des Streifens, Thanos Anastopoulos. Im Unterschied zu anderen getrennten Stränden etwa im Nahen Osten, sei es die freie Entscheidung der Badegäste, ins „Pedocin“ zu gehen und nicht an einen normalen Strand.

Und niemand in Triest denkt daran, irgendetwas daran zu ändern. So sagt der für die Bäder in der Stadt zuständige Ratsherr Giorgio Rossi, das „Pedocin“ wäre ohne seine Mauer nicht länger das „Pedocin“. „Das ist eine Triester Institution, warum sollten wir niederreißen, was das Bad so einzigartig macht?“

dpa