Nicht nur US-Präsident Donald Trump wirbt für Mittel gegen Covid-19, die wissenschaftlich nicht untermauert sind. Auf Madagaskar müssen manche Schüler ein Kräutergebräu trinken, um wieder Unterricht zu erhalten. Das soll sie schützen – sagt ihr Staatsoberhaupt.
Schüler in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo erhielten nicht nur eine Gesichtsmaske, als ihre Schule nach einem Monat Corona-Pause wieder öffnete. Sie bekamen auch eine kleine Flasche mit einem Kräuterextrakt: Den sollten sie trinken, zum Schutz gegen Covid-19, wie man ihnen sagte. Es schmeckte bitter, und viele verzogen ihr Gesicht, als sie das Elixier schluckten, um dann in ihre Klassenräume zurückzukehren – mit je nur einem Schüler an einem Tisch statt zwei, als Sicherheitsabstand.
Madagascar’s President is promoting an unproven treatment for COVID-19, saying it’s effective against the virus and strengthens the immune system. Main ingredient is a plant: Artemisia annua (sweet wormwood). WHO and other experts have said there is no known cure or vaccine yet. pic.twitter.com/Zs01Pi1wIG
— Nancy Kacungira (@kacungira) April 21, 2020
Weltweit suchen Wissenschaftler nach einem Weg zur Behandlung von Covid-19, und es wird auch mit Hochdruck an einem Impfstoff gearbeitet. Aber bislang ist keine Arznei als Mittel gegen die Infektionskrankheit zugelassen. Es gibt auch keinerlei Beweise, dass das Kräuterelixier namens Covid Organics gegen Covid-19 wirkt: Es ist nicht wissenschaftlich getestet worden. Aber das hält Madagaskars Präsidenten Andry Rajoelina nicht davon ab, begeistert für das Getränk zu werben.
Es werde „den Verlauf der Geschichte ändern“, verhieß er kürzlich im nationalen Fernsehen. „Wir wollen es populär machen, um unsere Bevölkerung zu schützen.“ Dann leerte er selber eine Flasche mit dem Gebräu, das vom Malagasy Institute of Applied Research entwickelt wurde. Das ist eine private Einrichtung, die seit mehr als 30 Jahren die Nutzung traditioneller madagassischer Medikamente erforscht. Das Flaschenetikett listet nicht auf, was in dem Trunk enthalten ist. Aber dem Präsidenten zufolge ist der Hauptbestandteil Artemisia – eine Bitterwurzel, die in manchen Malaria-Arzneien enthalten ist.
Plain truth: A laboratory in Madagascar has come up with a Covid Organic cure made from a natural herb Artemisia with a capacity to boost the immune system to resist Covid-19. However the WHO doesn't want to recognize, maybe bcoz it's from Africa. pic.twitter.com/UBm6eWVv2d
— PLAIN TRUTH (@BakakaFrederic) April 23, 2020
Das Getränk wird in einigen Schulen, die wieder öffnen, und in ärmlichen Gegenden kostenlos ausgegeben. Ansonsten ist eine 0,3-Liter-Flache umgerechnet für etwa 30 Cents zu haben, eine Literflasche für etwa 80 Cents. Es gibt auch Teebeutel mit dem Extrakt, eine Packung mit 14 Stück kostet etwa 2,40 Euro.
Die Insel im Indischen Ozean hat 26 Millionen Einwohner, bislang wurden knapp 130 Corona-Infektionen registriert, aber keine Todesfälle. Madagaskar hat es derzeit auch mit einem Masern-Ausbruch zu tun, bereits im vergangenen Jahr sind fast 1000 Kinder daran gestorben.
Mediziner kritisieren die Werbung für das Kräuterelixier als Mittel gegen Covid-19. „Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass es effektiv ist. Tatsächlich könnte es wahrscheinlich der Gesundheit der Bevölkerung schaden, besonders bei Kindern“, warnte der Präsident der Präsident der madegassischen Akademie für Medizin, Marcel Razanamparany.
Senegal becomes first country to place an order for Covid-organics!
Madagascar's President, Andry Rajoelina, confirmed on his Twitter account that Senegalese President, Macky Sall, congratulated Madagascar on the production of enhanced herbal drink, Covid-organics, and placed… pic.twitter.com/OweA6fUedW
— 🕯 Mitchell ‘Maliqeto Mhlanga🇪🇹🇬🇭🇨🇩🇿🇦🇲🇦 (@MimiReeds) April 26, 2020
Das alles erinnert an US-Präsident Donald Trump, der wiederholt ein Anti-Malaria-Medikament als erfolgversprechendes Mittel gegen Covid-19 propagiert hat – trotz Einwänden von Wissenschaftlern, die immer wieder betont haben, dass die Wirksamkeit nicht erwiesen sei. Im Gegenteil deuten manche jüngste Tests auf mögliche schädliche Nebenwirkungen hin.
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Die US-Gesundheitsbehörde NIH (National Institutes of Health) hat auch vor alternativen Medikamenten – so bestimmten Kräuteranwendungen und Tees – als Mittel zur Behandlung oder Verhinderung von Covid-19 gewarnt. Nicht nur fehlten jegliche Beweise für Nutzen: Manche dieser Medizinen könnten sogar schaden.
Madagascar used "artemisia annua" also known as sweet wormwood for Covid cure. In SA we have "artemisia afra" which is known as African wormwood, or "Umhlonyane" in Nguni & "Lengana" in Sotho
Their state ran tests & have scientific evidence that herb is preventative and remedial. pic.twitter.com/jIvKE3F9qL— BlacqMarket (@blacqmarket_) April 28, 2020
Wer ein Kräutergetränk herstelle und seine Wirksamkeit propagiere, müsse den wissenschaftlichen Nachweis für die Stichhaltigkeit der Behauptung vorlegen, sagt der pensionierte Psychiater Stephen Barrett, der die Webseite Quackwatch betreibt. Sie beschäftigt sich mit medizinischen Behandlungsmethoden, die nicht wissenschaftlich untermauert sind. „Dass ungetestete Produkte als Heilmittel angepriesen werden, ist ein weltweites Problem“, so Barrett. „Das Geld, um das (Kräutergetränk) zu produzieren, sollte besser darauf verwendet werden, dass Madagaskar Kinder gegen Masern und anderen Kinderkrankheiten impft.“
Dennoch tranken kürzlich Hunderte Schüler draußen vor der Ampefiloha-Schule im Herzen von Antananarivo das Kräutergebräu, um in ihre Klassenräume zurückkehren zu können. „Ich habe mich anfangs ein bisschen vor diesem Mittel gefürchtet, aber dann habe ich ein Programm im Fernsehen gesehen, in dem der Präsident der Republik es getrunken hat. Daher bin ich nicht mehr besorgt“, sagte Hugo Ramiakatrarivo.
Madagascar have over 100 covid 19 case with no death, they have made a natural herbal medicine that cures covid 19 in any stage within six days, WHO says it is dangerous because it had not been proven scientifically. Remember they have no death. pic.twitter.com/PRawlCb0gM
— Ebi Precious Akpada (@AkpadaEbi) April 23, 2020
„Sie sagen, dass es die Immunität stärkt, aber ich weiß nicht, ob es funktioniert. Meine Eltern haben mir gesagt, ich soll diese Medizin nicht einnehmen. Sie haben mir sogar gesagt, heute nicht zur Schule zu gehen, weil die Epidemie nicht vorbei ist (…). Sie haben wirklich Angst. Aber ich habe mich entschlossen, zum Unterricht zu kommen, weil wir Ende des Jahres unsere Prüfung haben.“

Auf dem Schulhof eines Gymnasiums wird das Getränk an die Schüler verteilt. Foto: Laetitia Bezain/dpa
Der Unterricht an der Oberschule war am 23. März ausgesetzt worden, nachdem die Behörden die ersten Fälle von Covid-19 auf der Insel publik gemacht hatten. Der Schuldirektor, Mamisoa Randrianjafy, versuchte, skeptische Schüler zu beschwichtigen. Es sei ein gewöhnlicher Kräutertee, wie viele andere populäre Kräutermittel auf Madagaskar, versicherte er und sagte, wenn Schüler sich weigerten, ihn zu trinken, würden sie nicht zum Unterricht zugelassen.
Dem nationalen Bildungsministerium zufolge werden alle Schüler in der Hauptstadt und in zwei anderen Städten mit bestätigten Covid-19-Fällen das Getränk erhalten. Wie die Ampefiloha-Schülerin Déborah Andrianary. „Es ist bitter und zugleich ein bisschen süß, am liebsten hätte ich mich übergeben“, sagte die 19-Jährige nach den ersten Schlucken. „Ich habe keine Angst vor dem Trinken, weil ich Kräutertees gewohnt bin. Aber der Geschmack ist wirklich eigenartig. Ich weiß nicht, ob ich diese Flasche austrinke.“
dpa