Kreis Heinsberg setzt Astrazeneca-Impfung für Frauen unter 55 aus – bald ganz NRW?

Nach dem Kreis Euskrichen hat auch der Kreis Heinsberg Astrazeneca-Impfungen für Frauen unter 55 Jahren ausgesetzt. Folgt bald eine Ausweitung des Stops für ganz Nordrhein-Westfalen oder den Bund? Noch am Dienstag soll zwischen Bund und Ländern beraten werden.
Astrazeneca Spritze
Foto: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa
Astrazeneca Spritze
Foto: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa

Nach zwei schweren Fällen von Komplikationen nach einer Impfung mit dem Wirkstoff von Astrazeneca in Nordrhein-Westfalen hat der Kreis Heinsberg am Dienstag die Impfung mit sofortiger Wirkung umgestellt. Frauen unter 55 Jahren erhielten nun ausnahmslos den Impfstoff von Biontech, gab der Kreis in einer Mitteilung bekannt.

Das Gesundheitsamt habe in Abstimmung mit dem Krisenstab und der ärztlichen Leitung des Impfzentrums entschieden, dass mit sofortiger Wirkung der Impfstoff des Herstellers Astrazeneca nicht mehr an Frauen in der Altersgruppe unter 55 Jahre verimpft werden dürfe. Die Zweitimpfungen dieses Wirkstoffs stünden ab Mai an. Wie damit umgegangen wird, soll später geklärt werden.

Der Kreis an der niederländischen Grenze war vor gut einem Jahr einer der ersten deutschen Hotspots des Coronavirus. Am Dienstag war der 255.000 Einwohner zählende Kreis einer der wenigen in NRW mit einer Inzidenz von weniger als 100.

Aussetzung von Astrazeneca bald in ganz Nordrhein-Westfalen?

Wird nun eine komplette Aussetzung des Astrazeneca-Impfstoffes für Nordrhein-Westfalen oder gar den Bund folgen? Die Leiter von fünf der sechs Uni-Kliniken in Nordrhein-Westfalen sprechen sich in einem gemeinsamen Brief an den Bundes- und Landesgesundheitsminister jedenfalls für den vorläufigen Stopp von Impfungen jüngerer Frauen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca aus. Das Risiko von weiteren Todesfällen sei zu hoch, heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

In dem zweiseitigen Schreiben, das von den Ärztlichen Direktoren der fünf Kliniken unterzeichnet wurde, wird Bezug auf die bislang bekannten Verdachtsfälle von Thrombosen nach Astrazeneca-Impfungen genommen. Die Experten stellen dann die Todesfälle durch Covid-19 bei 20- bis 29-jährigen Frauen den potenziellen lebensbedrohlichen Impfkomplikationen in der gleichen Altersgruppe gegenüber.

Demnach würden – bei gleich bleibendem Infektionsgeschehen und Impfungen jenseits von Astrazeneca – statistisch zehn Frauen zwischen 20 und 29 an Corona sterben. Bei 75 könnte aber theoretisch eine lebensbedrohliche Impfkomplikation auftreten, so die Rechnung der Klinik-Chefs.

„Zusammenfassend muss man feststellen, dass am Beispiel der Gruppe der 20- bis 29-jährigen Frauen nach jetzigem Erkenntnisstand ein äußerst ungünstiges Nutzen/Risiko-Profil für den Einsatz des Astrazeneca-Impfstoffes vorliegt“, so die Uniklinik-Chefs in ihrem Brief. „Im Lichte dieser Überlegungen erscheint uns der Einsatz des Astrazeneca-Impfstoffs bei jüngeren Frauen gegenwärtig nicht gerechtfertigt“, schreiben die Experten. Es bestehe daher „dringender Bedarf“, eine neue Impfempfehlung abzuleiten.

Bund und Länder beraten über Astrazeneca-Impfungen

Bis zum Nachmittag wollten die Uni-Kliniken nach dpa-Informationen dem Landes-Gesundheitsministerium eine entsprechende Empfehlung vorlegen. Hintergrund ist eine Sondersitzung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, die sich laut Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstagabend zum Thema Astrazeneca zusammenschalten wollen. Das Land Berlin hatte bereits am Mittag Corona-Impfungen mit dem Vakzin für Menschen unter 60 Jahren vorsorglich komplett ausgesetzt.

In NRW empfahl die Uni-Klinik Köln ihren weiblichen Angestellten unter 55 Jahren im Impfberatungsgespräch, „zumeist keine Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff“, so ein Sprecher. Er bestätigte einen Bericht der „Bild“-Zeitung.

„Wir enthalten niemanden den Impfstoff vor, der ihn auch nach entsprechender Aufklärung ausdrücklich wünscht“, ergänzte der Sprecher. „Insgesamt sind wir sowohl ethisch als auch juristisch verpflichtet, wie bei jeder anderen ärztlichen Maßnahme auch, nach bestem Wissen und Gewissen auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse aufzuklären und eine individuelle Impfempfehlung auszusprechen.“

Die Uni-Klinik Aachen hatte sich am Dienstag nicht dem Brief der anderen landeseigenen Krankenhäuser angeschlossen. Warum, blieb zunächst unklar – die Antwort auf eine entsprechende dpa-Anfrage stand zunächst noch aus. Allgemein teilte die Uniklinik Aachen mit, dass für den Einsatz der Impfstoffe die Städteregion Aachen zuständig sei. Dort folge man der Empfehlung des Landes-Gesundheitsministeriums und empfehle keine Stopps, bevor nicht die Ständige Impfkonferenz oder das Paul-Ehrlich-Institut anders entschieden.

Kreis Euskirchen stoppte Astrazeneca-Impfung schon am Montag

Hintergrund der aktuellen Debatte ist unter anderem ein Fall aus dem Kreis Euskirchen. Dort hatte eine 47 Jahre alte Frau laut dem Kreis Euskirchen wenige Tage nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose erlitten und war gestorben. Auch eine 28 Jahre alte Frau war nach Angaben des Kreises nach der Impfung an einer solchen Thrombose erkrankt. Sie befindet sich demnach „in einem stabilen Zustand und wird in einer Spezialklinik versorgt“.

Der Kreis bestätigte am Dienstag, dass die 28-Jährige in Bonn wohnt, aber im Kreisgebiet arbeitet und dort geimpft wurde. Der Kreis hatte daraufhin bereits am Montag die Impfung von Frauen unter 55 Jahren mit dem Vakzin von Astrazeneca gestoppt.

Deutschland – und zahlreiche andere Staaten – hatten die Impfung mit dem Astrazeneca-Stoff im März vorübergehend ausgesetzt, weil mehrere Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) in den Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung gemeldet wurden. Mittlerweile wird der Impfstoff wieder verabreicht. Die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema hatte die Sicherheit des Vakzins bekräftigt, auch die Ständige Impfkommission in Deutschland hatte sich für eine weiteren Einsatz den Mittels ausgesprochen.

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