Chaos-Abi in NRW – Lehrer wird deutlich: „Habe einen klaren Plan B vermisst“

Die peinliche Download-Panne warf unter der Woche ein schlechtes Licht auf das NRW-Abi und den Bildungsstandort Deutschland. Ein Lehrer aus Eschweiler findet im Tonight-News-Gespräch dazu deutliche Worte – und erklärt, warum die Digitalisierung nicht immer die einzige Lösung sein sollte.
Abitur Schule
"Heute Abitur" steht auf einer Tafel im Klassenzimmer eines Gymnasiums. Foto: Sina Schuldt/dpa
"Heute Abitur" steht auf einer Tafel im Klassenzimmer eines Gymnasiums. Foto: Sina Schuldt/dpa

Es war ein Paukenschlag, der Nordrhein-Westfalen Dienstagabend wachrüttelte: Die für Mittwochmorgen angesetzten Abiturprüfungen können nicht wie geplant stattfinden. Grund hierfür sei eine Download-Panne, erklärte das Landesschulministerium. Eine Blamage für das CDU-geführte Ressort unter der Leitung von Ministerin Dorothee Feller – und ein weiterer Beweis, wie schlecht es um die Digitalisierung im NRW-Schulwesen steht.

Tausende Schüler, die sich in den Fächern Biologie, Chemie, Physik, Technik, Informatik und Ernährungslehre auf die wichtigste Prüfung ihrer Bildungslaufbahn vorbereitet hatten, blieben mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Zwar erklärte das Schulministerium schon am folgenden Tag, die ausgefallenen Abiturklausuren würden am Freitag nachgeholt und auch die Ursache des peinlichen Patzers sei ausgemacht – der Server eines externen Dienstleisters sei den gleichzeitigen Download-Zugriffen von 900 NRW-Schulen nicht gewachsen gewesen –, der Ärger jedoch blieb.

Chaos-Abi in NRW: Lehrer befürchtet psychische Folgen bei Schülern

So auch bei Patrik Becker, der am Städtischen Gymnasium Eschweiler das Abiturfach Englisch sowie Latein unterrichtet. „Was ich im Zusammenhang mit der Panne diese Woche vermisst habe, war ein klarer Plan B“, erklärt der Lehrer im Gespräch mit Tonight News. „War es denn wirklich nicht möglich, kurzfristig eine Nachricht an die Schulen mit einer verschlüsselten PDF-Datei zu versenden? Das hätte uns allen die Möglichkeit gegeben, die Aufgaben noch am Morgen abzurufen und auszudrucken.“ Die Kurzfristigkeit der Prüfungsverschiebung werde sicherlich auch Auswirkungen auf die Leistung der angehenden Abiturienten haben, ist sich der Pädagoge sicher.

„Die Psyche ist enorm belastet durch die kurzfristige Stresssituation, dadurch wird sicherlich Detailwissen in Mitleidenschaft gezogen“, so Beckers Einschätzung. Er sagt jedoch auch: „Der Kern des Wissens, das ich mir über Wochen und Monate angeeignet habe, wird dadurch aber dennoch nicht plötzlich verschwunden sein. Wenn ich mich dezidiert vorbereitet habe, dürfte eine Verschiebung von wenigen Tagen keine gravierende Auswirkung auf meine Leistung als Prüfling nehmen.“

Unangenehm dürfte es da schon eher für die Abiturienten sein, die statt Mittwoch und Donnerstag nun Donnerstag und Freitag geprüft werden. „Da gerät die ganze mentale Vorbereitung durcheinander“, erläutert Becker, „weil plötzlich Fächer und Themen umsortiert werden müssen und nach einem enormen Adrenalinabfall nach der hinter sich gebrachten Prüfung am Donnerstag man innerhalb kürzester Zeit wieder aufs Leistungsmaximum hochfahren muss.“ Eine enorme Zusatzbelastung für einen Abijahrgang, der durch die Corona-Pandemie ohnehin schon gezeichnet ist.

Chaos-Abi in NRW: „Corona hat den Schulbetrieb beeinträchtigt“

„Corona hat den Schulbetrieb sicherlich beeinträchtigt – und das, obwohl unsere Schulleitung uns für das Video-Home-Schooling gut vorbereitet hat“, blickt Becker auf den Abijahrgang 2023 – den ersten, der seine Prüfungen wieder komplett ohne Beschränkungen ablegen kann. Nichtsdestotrotz sei viel auf der Strecke geblieben, findet der Pädagoge. „Die Umstände haben dazu geführt, dass ich mich vor allem darauf konzentriert habe, die Grundlagen rüberzubringen, die wichtigsten Texte zu besprechen. Die Detailarbeit, die offene Diskussion, das Feilen an der Grammatik – das alles ist größtenteils liegengeblieben.“ Auch deshalb kommt er nun, mit Beginn der Abiprüfungen 2023, zu einem klaren Urteil: „Ja, die Qualität des Unterrichts – und damit auch die Leistung der Schüler – hat ganz eindeutig in dieser Zeit gelitten.“

Auch deshalb sieht Becker mehr Digitalisierung im Schulsektor nicht als ein Allheilmittel für die nahe Zukunft an. Er versucht die Sache differenziert zu betrachten. Becker: „Ja, es muss sich grundsätzlich noch einiges tun bei der Digitalisierung der Schulen. Da spreche ich aber nicht nur von der Schulausstattung mit etwaigen Whiteboards und leistungsfähigerem W-Lan, sondern auch von den Lehrern.“

Chaos-Abi in NRW: Lehrer fordert mehr Verständnis für ältere Kollegen

Das fange ja bereits bei ihm selbst an, erzählt Becker mit einem Lachen in der Stimme – „meine Schüler haben mich in der Abizeitung nicht gänzlich umsonst zum Technik-Versager ernannt.“

Es gäbe einfach eine Vielzahl von Lehrern, „die jahrzehntelang mit Ausdrucken und Overhead-Projektoren gearbeitet haben, für die ein Umstieg auf einen volldigitalisierten Unterricht eine nicht zu unterschätzende Hürde darstellt“, so Becker. „Und da wünsche ich mich in der öffentlichen Wahrnehmung auch ein gewisses Verständnis.“

Deshalb plädiere er auch für ein übergangsweises, duales System, „indem Ausdrucke und der Overhead-Projektor weiter ihre Daseinsberechtigung haben.“ Schließlich habe die aktuelle Download-Panne gezeigt, dass komplett durchdigitalisierte Lösungen immer kurzfristig ausfallen können.