Eine Lara zum Verlieben: Shadow of the Tomb Raider im Test für PlayStation 4

Lara Croft ist die Grande Dame der Videospiel-Welt. In "Shadow of the Tomb Raider" hat sie ihren neuen großen Auftritt.
Foto: Square Enix
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Lara Croft ist die Grande Dame der Videospiel-Welt. In „Shadow of the Tomb Raider“ hat sie ihren neuen großen Auftritt. Und der Entwickler und Publisher Square Enix macht da sehr viel sehr richtig. Es ist das beste Spiel der neuen Trilogie, die 2013 startete.

Hier kommt die Flut. Gerade noch hat Lara Croft daran gezweifelt, dass die Apokalypse real ist. Da fegt eine Wasserwand die mexikanische Kleinstadt, in der sie und ihr Weggefährte Jonah sich aufhalten, brutal weg. So brutal, dass Lara an den Leichen Ertrunkener vorbei schwimmen muss – und vor ihren Augen ein kleiner Junge in den Tod stürzt.

Es sind Menschen, mit denen sie etwa eine Stunde Spielzeit zuvor noch gefeiert hat. Alles ist nun vergangen. Und das nur wegen Lara, die es nicht lassen konnte, einen alten Dolch aus einer versunkenen Ruine zu bergen. Natürlich, um zu verhindern, dass die mysteriöse Geheimorganisation Trinity ihn vorher in ihre Finger bekommt. Und der emotionale, böse gesagt mitreißende Beginn, ist Programm in „Shadow of the Tomb Raider“.

Sie ist fast schon besessen davon, die Apokalypse aufzuhalten – an die sie anfangs noch nicht einmal so wirklich glaubt. Das mündet sogar in einen Streit mit Jonah, der nun eine eigene Meinung haben darf und sich ihr widersetzt: Als Jonah den Überlebenden in Mexiko helfen will, möchte Lara trotz der tragischen Ereignisse sofort aufbrechen und Trinity aufhalten. Das kommentiert Jonah mit deutlichen, lauten Worten, die Lara wieder erden. In einer spielbaren Rückblende erfahren wir dann aber auch, was Lara Croft als kleines Mädchen erlebt hat – und warum sie so verbissen ist.

Grandiose Inszenierung, menschliche Lara, dichte Atmosphäre

Square Enix ist es in Shadow of the Tomb Raider tatsächlich gelungen, aus der Ikone einen komplexen, vielschichtigen Charakter zu machen. Und noch nie war sie so menschlich, aber auch verletzlich. Da ist keine Spur mehr von der rehäugigen Abenteurerin im ersten Teil der neuen Trilogie aus dem Jahr 2013: Damals war sie in einem Moment traumatisiert von dem ersten Menschen, den sie getötet hat – um danach reuelos reihenweise Gegner umzulegen. Lara Croft ist nun eine echte Persönlichkeit, die überzeugend und in sehr emotionalen Momenten inszeniert worden ist. Das ist Square Enix tatsächlich sogar besser gelungen als es Naughty Dog mit Nathan Drake in der Uncharted-Reihe jemals geschafft hat. Respekt dafür.

Da wir bei der Inszenierung sind: Auch der südamerikanische Dschungel wirkte selten lebendiger und echter als in Shadow of the Tomb Raider. Für den Test haben wir auf der Xbox One X gespielt. Und der Dschungel sieht einfach so verdammt gut aus, wie er sich auch anhört. Wer Dolby Atmos zu Hause einsetzen kann, der fühlt sich fast wie im Dickicht. Das wirkt so echt, dass ich schon beim leisen Knacken eines Astes Lara nach Pfeil und Bogen greifen lasse – weil ich etwas Wildes und Gefährliches hinter jedem Baum vermute.

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Ja, es ist schon ein Videospiel-Floskel: Aber Shadow of the Tomb Raider zieht mich mit der dichten Atmosphäre ins Spiel hinein. Und die Detailliebe zeigt sich dann auch in kleinen Begebenheiten, wenn man im Dschungel Perus die Stadt Paititi entdeckt – und auf Kinder trifft. Die streiten sich auf einmal, wie man einen gefangenen Frosch aufbläst. Am Ende finden sie die Idee so eklig, dass sie ihn lieber als Haustier behalten. Das ist nicht entscheidend fürs Spiel, aber es macht einfach Spaß, so etwas zu erleben – weil es authentisch wirkt. Wenn man dann auch noch unter den Optionen die Originalsprache mit Untertiteln wählt, klingt alles noch echter.

Mehr Rätsel, weniger Kämpfe, spielerisch aber wenig Neues

Spielerisch dagegen hat sich nicht viel verändert. Es gibt immer noch das eher rudimentäre Rollenspiel-System, in dem ich Fähigkeiten-Punkte verteile – je nach meiner gewünschten Spielweise. Das Crafting hat Square Enix etwas zurückgeschraubt. Ich kann zwar Kleidung zusammennähen, die Lara bestimmte Vorteile bietet. Ich kann auch Waffen ausbauen. Aber alles ist übersichtlicher geworden und nicht mehr so ausufernd wie beim Vorgänger.

Square Enix hat zudem den Fokus etwas verändert. Es gibt mehr Rätseleinlagen und für Neugierige mehr Möglichkeiten, den Dschungel zu erforschen. So stößt man auf die optionalen Krypten und Gräber, in denen durchaus knackige bis schwere Rätsel warten – bei denen ich bisweilen um die Ecke oder in logischen Ketten denken muss. Das wird dann wieder mit Tagbüchern vergangener Expeditionen belohnt, speziellen Kleidungsstücken und vor allem Fähigkeiten, die man sonst nicht freischalten kann.

Stellenweise ziemlich hart

Der Dschungel ist dennoch kein besserer Abenteuerspielplatz: Lara stößt irgendwann auch auf Feinde. Die Kampfeinlagen werden jedoch dosierter eingesetzt und sind seltener als bei den Vorgängern. Dafür wirken die dann intensiver. Pfeil und Bogen bleiben die Waffe der Wahl für Lara. Und wenn Lara lautlos in einem Lager voller Feinde aufräumt, bin ich schon etwas stolz, wenn ich höre, wie nervös die Gegner werden – weil sie Lara nicht sehen und fast an einen Geist glauben.

Allerdings muss es nicht immer so heimlich sein: Offene Feuergefechte sind nicht ganz so schwer, weil Laras Feinde nicht zu den hellsten Köpfen ihrer Gattung zählen. Da sind sogar einige Kämpfe mit den Wildtieren des Dschungels um einiges härter. Manche davon sind sogar hammerhart. Aber auch das ist neu und eine gute Idee: Man kann gesondert den Schwierigkeitsgrad für Kämpfe, Rätsel und das Überleben im Dschungel einstellen. Und wer an einer Stelle überraschend auf einen bestimmten Jaguar trifft, wird das vielleicht sogar zu schätzen wissen.

Der größte Feind bleibt die Steuerung

Das ändert indes nichts daran, dass der größte Feind Laras immer noch die Steuerung ist: Mit dem linken Stick bewegt sie sich, mit dem rechten kontrolliert man die Kameraperspektive. Leider funktioniert das in der Praxis nicht immer optimal. Ich habe es nicht gezählt, aber Lara ist bei mir wahrscheinlich öfter durch Fehltritte und Fehlsprünge gestorben als durch Gegner. Denn die Kamera macht bisweilen, was sie will oder der Winkel stimmt nicht hundertprozentig: Und leider vergibt das Spiel da selbst kleinste Fehler nicht. Das ist manchmal frustrierend.

Neue Hauptautorin mit perfektem Einstand

Aber dafür ist die spannende Geschichte gut erzählt, auch wenn sie sich manchmal bei Klischees bedient. Das macht sie dann aber mit ihren Charakteren wieder wett. Allen voran natürlich Lara Croft, aber auch ihr großer Widersacher Pedro Dominguez ist nicht so eindimensional, wie es anfangs scheint. Mit der Zeit gewinnt er an Komplexität und Charisma. Und das Ende inklusive Post-Credit-Scene belohnt einen tatsächlich für die ganzen Mühen. Die neue Hauptautoren Jill Murray (Assassin’s Creed Liberation und Black Flag) hat da einen sehr, sehr guten Job gemacht.

Es ist darum fast schon schade, dass die neue Tomb-Raider-Trilogie auf ihrem Höhepunkt endet. Denn „Shadow of the Tomb Raider“ ist das beste Spiel der neuen Reihe – und bietet 20 bis 25 Stunden Spielspaß, wenn ihr durch das Spiel rast und es nicht genießt. Tatsächlich gibt es sehr viel zu entdecken im Dschungel und abwechslungsreiche Sidequests. Entdecker und Neugierige werden darum mit dem Spiel sehr viel länger Spaß haben.

Wir geben Shadow of the Tomb Raider fünf von sieben Pfeilen, 17 von 19 Jaguarfellen und 31 von 34 Schatztruhen.