Acht Kostbarkeiten: Octopath Traveler im Test für die Nintendo Switch

Kommen ein Krieger, eine Tänzerin, ein Apotheker, ein Dieb, eine Klerikerin, ein Gelehrter, eine Jägerin und eine Händlerin in eine Bar…
Foto: Nintendo
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Kommen ein Krieger, eine exotische Tänzerin, ein Apotheker, ein meisterhafter Dieb, eine Klerikerin, ein Gelehrter, eine geschickte Jägerin und eine Händlerin in eine Bar… So, oder ähnlich, könnte ein ziemlich mieser Witz anfangen.

Zum Glück ist Octopath Traveler von Square Enix alles andere als ein schlechter Witz: Hinter der äußerst “retro’esquen” Fassade steckt eines der besten Rollenspiele der letzten Jahre – und das liegt erstaunlicherweise nicht an der Hülle unterschiedlicher Charakter-Erzählungen, sondern insbesondere am fantastischen Kampfsystem und einer nicht enden wollenden Anzahl unterschiedlichster Herausforderungen, welche wirklich jeden Geschmack und Schwierigkeitslevel bedienen.

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Square und Nintendo wieder vereint

Aber langsam mit den Pferden, fangen wir vorne an: Es war einmal, in einem Universum-Röhrenfernseher am anderen Ende der Welt, in einer Zeit, in der die Pixel noch über die Drahtgittermodelle herrschten. Zu dieser Zeit begab es sich, dass Square und Nintendo noch große Freunde waren, Blümchen-pflückend durch bunte Wiesen sprangen und mit Titeln wie Secret of Mana, Final Fantasy VI, Chrono Trigger und dem ersten Super Mario RPG die Herzen der Fans, ebenso wie die Herzen der Kritiker begeistern konnten.

Weniger Jahre später kam der Bruch: Square lieferte Final Fantasy VII nicht, wie ursprünglich geplant, für das Nintendo 64, sondern für die erste PlayStation. Das Zeitalter der pixeligen JRPGs sah ihrem Ende entgegen. Die Zeit von Sony und 3D war gekommen.

Heute, im Jahr 2018, können wir es noch immer nicht so recht glauben, was hier mit Octopath Traveler vor uns liegt: Ein in jeder Beziehung äußerst traditionelles “Pixel”-Rollenspiel, exklusiv für eine Nintendo-Konsole.

Acht Helden, acht Geschichten

Kommen wir fix zum wesentlichen Clou von Octopath Traveler: Gleich zu Beginn dürft ihr euch für einen von acht unterschiedlichen Helden entscheiden, um darauf in seine Geschichte eingeführt zu werden, einen ersten kurzen Dungeon zu absolvieren, einem Boss auf die Nüsse zu geben und letztendlich in die weite Welt hinauszuziehen, um offene Rechnungen zu begleichen.

Auf der Reise trefft ihr dann peu a peu auf die restlichen sieben Charaktere: Primrose etwa, die exotische Tänzerin aus der Wüstenstadt “Sonnschatt”, wartet auf die Gelegenheit sich an den Mördern ihres Vaters zu rächen. Apotheker Alfyn wacht mit Heilmitteln und Tinkturen über ein verschlafenes Dorf, will sein Können aber auch in die Welt hinaustragen. Und Meisterdieb Therion wird durch widrige Umstände dazu gezwungen sich auf die Suche nach den sogenannten „Drachensteinen“ zu machen.

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Die Qualität der Geschichten schwankt von durchaus spannend über “Schema F” bis hin zu “Fast Forward”. Grundsätzlich ähneln sich die Einstiegs-Kapitel zu sehr und folgen allesamt dem erwähnten Aufbau. Der spätere Verlauf der Geschichten entschädigt (meist) über einen lahmen Start ins Abenteuer.

Tipp 1: Pfoten weg von der Klerikerin Ophelia – deren Start ins Spiel ist dermaßen fremdschämig, dass man schnell verleitet ist den Titel komplett zur Seite zu legen.

Tipp 2: In Hinsicht auf die Spielmechanik ist Krieger Olberic die beste Startfigur. Sicher ist der klassische Tank/Schadensausteiler keine sonderlich kreative Rolle, und wird dementsprechend viele Spieler vom „First Pick“ abschrecken, allerdings macht er das Spiel mit seinen Fertigkeiten definitiv leichter. Außerdem als guter Start ins Abenteuer empfehlenswert sind Cyrus, der Gelehrte, Tressa, die Händlerin und – mit Abstrichen – Dieb Therion und Jägerin H’aanit.

Das größte Problem bleibt bis zum Ende des Spiels bestehen: Die acht Figuren haben außer der gemeinsamen Reise (“He, du, kommst du mit mir?”) kaum Begegnungspunkte innerhalb ihrer Geschichten. Hier haben die Schreiber im Hintergrund extrem viel Potential in Bezug auf eine spannende Handlung links liegen lassen.

Wie funktioniert das alles?

Nachdem sich euer selbst gewählter Held einmal auf den Weg gemacht hat, steht euch die riesige Welt theoretisch vollkommen offen: Gefahrenlevel weisen euch daraufhin, ob ihr in einem Gebiet bestehen könnt, oder doch besser erst später vorbeischauen solltet. Dungeons versprechen einzigartige Beute, Side-Quests unterhalten euch hier und dort neben der Handlung.

Nach dem Abschluss des ersten Kapitels wird auf der Karte gleich der Startpunkt des zweiten Kapitels markiert. Im Falle von Krieger Olberic ist dies eine Stadt im Norden. Das Problem: Ebenfalls angezeigt wird das nötige Level, mit dem ihr das zweite Kapitel starten solltet – in diesem Fall Level 27. „Level 27? Aber,… ich bin doch gerade mal Level 6?

Ihr merkt schon: Um das zweite Kapitel überhaupt starten zu können, müsst ihr entweder extrem viel “grinden”, oder aber ihr schnappt euch erstmal einige weitere Mitstreiter auf dem Weg nach Norden, um dem empfohlenen Level näherzukommen.

Wichtig: Eure Party umfasst maximal 4 Mitglieder. Ihr könnt also (abseits von einer Ausnahme) nie alle acht Reisenden in den Kampf ziehen. Getauscht wird ganz klassisch im Gasthaus in den Städten. Immer mit dabei ist übrigens euer zu Beginn gewählter Charakter – den werdet ihr bis zum Abschluss seiner Geschichte nicht mehr los. Erfahrungspunkte erhalten nur aktive Mitglieder eurer Party.

Um das Story-Wirrwarr noch zu verkomplizieren, tauchen mit dem Sammeln der weiteren Charaktere natürlich auch immer weitere “Kapitel 2”-Punkte auf eurer Karte auf – inklusive unterschiedlicher Level-Anforderungen. Auf diese Weise wird auch schnell klar: Das viel beworbene Feature der “freien Wahl” ist viel heiße Luft um nichts – Octopath Traveler zeichnet einen recht deutlichen Weg für euch, wie, und wann es wo weitergeht.

Tanzen, Tränke brauen und Tiere beschwören

Abseits der komplexen Handlung findet ihr das Highlight von Octopath Traveler: Die rundenbasierten Kämpfe, samt ihrer wirklich tollen und einzigartigen Charaktertalente und einem mehr als durchdachten Klassensystem, sorgen für schier endlose Motivation!

Dank unzähliger Begegnungen mit fiesen Viechern, Raubrittern und riesigen Monstern rüttelt das Spiel ganz gut am A-Knopf auf eurem Joycon – jede Aktion will bestätigt werden, viele einfache Kämpfe zu Beginn arten dementsprechend in wüstes „A-A-A-A-A“-Gedrücke aus. Spätestens mit dem zweiten Kapitel ist Schluss mit Knopf-Gekloppe: Nun muss jede Aktion sorgfältig geplant werden, damit eure Charaktere nicht das Zeitliche segnen.

Um siegreich vom Feld zu ziehen, nutzt ihr die Schwächen eurer Gegner aus: Ob Schwert, Axt, Lanze oder Dunkle Magie erfahrt ihr erst durch Ausprobieren, danach werden die Schwächen unter dem Gegner angezeigt. Mit jeder weiteren Attacke senkt ihr auf diese Weise den Schildwert des Gegners: Sind die Schilde aufgebraucht, ist der Bösewicht kurzfristig gegen sämtliche Attacken verwundbar und erhält mehr Schaden.

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Noch besser: Clever eingesetzt könnt ihr insbesondere große Bosse davon abhalten ihre mächtigsten Attacken auszuführen. Denn bei Verlust sämtlicher Schilde ist der Gegner kurzfristig „benommen“, also handlungsunfähig.

Das wohl wichtigste Feature der Kämpfe ist der sogenannte „Boost“: Pro Runde bekommt ihr einen Boost-Punkt spendiert, maximal vier davon dürft ihr einsetzen um Attacken, Zauber und Defensive gehörig aufzupeppeln. So attackiert Krieger Olberic beispielsweise gleich vier mal mit seinem Schwert, oder richtet mit einem Horizontalschlag extrem hohen Schaden an allen sichtbaren Gegnern an. Spätere Duelle werden durch diesen Rhythmus aus „Angriff, Abwarten, Defensive, Heilen, Boost-Angriff“ bestimmt – das macht nicht nur Spaß, sondern ist einfach extrem clever und motivierend.

Dabei müsst ihr euch auch mit einer ganzen Bandbreite an negativen Status-Effekten herumschlagen: Vergiftete Charaktere erleiden pro Runde automatisch Schaden, Verwirrung lässt euch willkürliche Angriffe ausführen und Blindheit öfters mal daneben schlagen. Zum Glück gibt es für jeden negativen Statuseffekt auch das passende Heilkraut. Vollständig geheilt werden die Charaktere mit jedem Level-up, was insbesondere zum Start noch recht einfaches „Grinding“ erlaubt. Alternativ übernachtet ihr in einem Gasthaus, oder futtert eifrig Heiltrauben.

Noch komplexer wird das Spiel durch die einzigartigen Charakterfertigkeiten: Jägerin H’aanit ruft Bestien zur Hilfe, oder fängt diese im Pokémon-Stil einfach während der Kämpfe ein. Allein die Auswahl unterschiedlicher Bestien ist der Wahnsinn, nebenbei können Charaktere wie Primrose und Ophilia noch ganz normale Leute aus den Städten überzeugen, sich der Party anzuschließen und im Kampf kurzfristig auszuhelfen. Praktisch: Apotheker Alfyn mixt sich im laufenden Kampf helfende Tinkturen und Cyrus offenbart euch sämtliche Schwächen der Gegner auf Knopfdruck. Im weiteren Spielverlauf greift ihr dank Sekundärklassen auf die Fertigkeiten anderer Charaktere zurück – so wird die Auswahl der aktiven Partymitglieder vereinfacht.

Die schönsten Pixel aller Zeiten

Wer den ersten Screenshot zu Octopath Traveler sieht und sich dabei ein „Örks, Pixel!“ nicht verkneifen kann, der tut dem Spiel Unrecht: Erstaunlicherweise werkelt hinter dem Titel die Unreal Engine 4, also eine Grafik-Engine mit Fokus auf dreidimensionale Assets, seit 2014 fester Bestandteil der Szene. Was ihr also wirklich erblickt sind keine zweidimensionalen Ebenen, sondern dreidimensionale Landschaften, beklebt mit einigen der schönsten Pixeltapeten der letzten Jahre. Das ist auch ein Grund, warum die Spezial-Effekte so gut aussehen: Die Darstellung von Wasser, Wüste und Schnee profitiert deutlich von der Unreal Engine 4.

Octopath Traveler ist jedoch nicht nur technisch bewundernswert, sondern auch aus künstlerischer Perspektive: Trotz weniger Pixel hat jeder Held und jede Heldin, jeder Bösewicht und jeder noch so simple NPC ein Eigenleben. Richtig opulent kommen im Kampf die riesigen Boss-Sprites daher: Toll!

Zu einem japanischen Rollenspiel gehört natürlich auch der richtige Soundtrack hinzu: Insbesondere die Siegeshymne nach einem abgeschlossene Kampf sollte dementsprechend „passen“ – ihr werdet sie so einige Male hören!

Da besteht keine Frage: Auftrag erfolgreich abgeschlossen!

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Zum Glück ist es nicht nur die Siegeshymne, welche im Soundtrack zu überzeugen weiß: Sound-Composer Yasunori Nishiki führt eine ganze Sammlung höchst interessanter, mal tragischer, mal epischer, mal verspielter Tracks ins Feld, welche sich letztendlich ohne Probleme den „Best of 2018“-Sticker anheften dürfen.

Kostproben gefällig?

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Last but not least dürft ihr euch bei Octopath Traveler auf astrein ins Deutsche übersetzte Texte freuen. Die erreichen zwar nicht die spielerische Leichtigkeit älterer Übersetzungen, nerven andererseits aber auch nicht mit aufgesetzt wirkenden Mundarten, Akzenten oder dämlichen Anspielungen. Gesprochen wird eher selten – und stets auf englisch, wahlweise sogar im japanischen Original.

Fazit

Zum Zeitpunkt dieser Zeilen darf sich Square Enix bereits über eine Millionen abgesetzte Octopath Traveler freuen – der Versuch den Geist für Retro-Rollenspiele wieder aufleben zu lassen, hat sich also endlich ausgezahlt!

Für mich ist Octopath Traveler tatsächlich eines der besten Rollenspiele der letzten Jahre, wird letztendlich aber von seiner unausgewogenen Erzählung von acht unterschiedlichen Geschichten unnötig zurückgehalten. Ebenfalls als dezent langweilig empfand ich das Dungeon-Design – knackige Rätsel und alternative Routen sucht man meist vergebens, die meisten Schatztruhen finden sich nur wenige Meter vom „richtigen“ Weg entfernt.

Des scheinbar kreativen “Wähle einen aus acht”-Ansatz hätte es gar nicht bedurft, um Octopath Traveler interessant zu machen: Das unglaublich starke Kampfsystem, die unzähligen Fertigkeiten, die Tonnen an Loot und die Massen an Monstern lassen die Zeit wie im Flug vergehen und beschäftigen euch für weit über 60 Stunden! Übrigens: Im Gegensatz zur Konkurrenz soll Octopath Traveler ein abgeschlossenes Spiel bleiben – zukünftige DLCs schließen die Entwickler aus. Daumen hoch dafür!

Viel wichtiger als die Qualität des Spiels ist aber seine Wirkung auf die Branche: Wenn selbst ein Branchenriese wie Square Enix wieder mit “Pixel”-Spielen Geld scheffeln kann, sollte dies ein mehr als denkwürdiges Zeichen für die Konkurrenz sein, sich auch mal wieder seiner Wurzeln bewusst zu werden. Drückt die Daumen!

Last but not least: Den Soundtrack hatte ich ja bereits gelobt, will das zum goldenen Abschluss aber gerne wiederholen. Was Yasunori Nishiki hier abliefert, gehört mit zum Feinsten, was uns 2018 bislang ins Trommelfell gezwirbelt hat. Weltklasse!

In Octopath Traveler besuchen wir 9 von 10 unglaublich hübsche Pixel-Städte, öffnen 5 von 5 Schatztruhen und freuen uns über 90 Prozent feinstes JRPG-Grinding. Trotz aller Story-Fehltritte ein sicherer Pflichtkauf für eure Nintendo Switch, sofern ihr keine Angst vor zufälligen Rundenkämpfen habt.