„Eine Schande“ – 29 Polizisten in NRW wegen Nazi-Chats suspendiert

29 Beamte – die meisten davon bei der Polizei Essen – sollen rechtsextreme Inhalte über ihre Handys ausgetauscht haben.
Pressekonferenz zu rechtsextremen Chatgruppen NRW Herbert Reul
Foto: Marcel Kusch/dpa
Foto: Marcel Kusch/dpa

Fast 30 Polizisten in Nordrhein-Westfalen stehen unter Verdacht, jahrelang rechtsextremen Chat-Gruppen angehört zu haben. Interne Ermittler fanden Hakenkreuze, Hitler-Konterfeis und rassistische Mord-Fantasien.

Adolf Hitler, Hakenkreuze, Reichskriegsflaggen und ein Flüchtling in der Gaskammer: Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) und seine Mitarbeiter werden sehr deutlich bei der Bewertung dessen, was in fünf Chat-Gruppen von fast 30 nordrhein-westfälischen Polizisten entdeckt wurde: Da hätten sich „Abgründe aufgetan“, es sei „eine Schande“ und treffe die Polizei „ins Mark“.

Nun sind alle 29 Beamte vom Dienst suspendiert, müssen Ausweise und Waffen abgeben, dürfen ihre Uniformen nicht mehr tragen und ihre Dienststellen nicht mehr betreten.

Es war eher ein Zufall, der den Skandal ans Licht brachte. Gegen einen 32-jährigen Polizisten war ermittelt worden, weil er Dienstgeheimnisse an einen Journalisten verraten haben soll. Als die Ermittler sich sein Handy ansahen, stießen sie auf WhatsApp-Gruppen mit einem Sammelsurium neonazistischer, rassistischer, rechtsextremer Dateien.

14 Beamte, die als Absender auftauchen, sollen nun für immer aus dem Polizeidienst entfernt werden. 15 Empfänger der braunen Post, die dazu schwiegen, müssen sich in Disziplinarverfahren verantworten. Gegen mehrere Beamte wird auch strafrechtlich ermittelt: wegen Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole und Volksverhetzung.

Fast alle Verdächtigen seien Polizistinnen und Polizisten in Mülheim/Ruhr, unter ihnen ist auch ein Dienstgruppenleiter. Bei einer großen Durchsuchungsaktion am Mittwoch wurden weitere, noch nicht ausgewertete Mobiltelefone sichergestellt. Sie bergen das Potenzial, dass sich der Fall noch deutlich ausweiten könnte.

Reul kündigte eine Sonderinspektion für das Polizeipräsidium Essen an, zu dem Mülheim gehört. Dort ist der ehemalige Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP, Frank Richter, Polizeipräsident – und seine Ehefrau Extremismusbeauftragte der Polizei. Es habe keine Hinweise und keine Auffälligkeiten gegeben, beteuert Richter. So etwas habe bislang „außerhalb meiner Vorstellungskraft gelegen“, bekannte er.

https://twitter.com/Westpol/status/1306173226117144576

Alle Geräte, auf denen der verfassungsfeindliche Inhalt gesichert wurde, seien Privatgeräte gewesen. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, diese Menschen aus dem Dienst zu entfernen. Da darf es kein Mitleid, keine falsch verstandene Kameradschaft geben. Das dürfen die Verfassungsfeinde in unseren Reihen durchaus als Drohung empfinden“, kündigte der Innenminister an.

Die auch für den sprachgewaltigen Reul ungewöhnlich martialischen Worte gelten etwaigen weiteren Mitläufern, die von ähnlichen Umtrieben wissen und sich bislang noch nicht offenbart haben. Nun sei es höchste Zeit für sie, ihren „falsch verstandenen Korpsgeist“ aufzugeben.

Nun sei auch klar, dass man es nicht nur mit Einzelfällen zu tun habe, sagte Reul und kündigte ein ganzes Bündel von Maßnahmen an. Das Problem soll in einem Lagebild aufbereitet werden. Noch am Mittwoch habe er zudem alle Führungskräfte ins Ministerium gebeten.

Reul berief zudem einen Sonderbeauftragten für rechtsextremistische Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei: den bisherigen Vize-Chef des Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann.

Der sagte, das gefundene Material sei „Hardcore“. Es kursiere in der rechten Szene auch nicht viel Schlimmeres. Es habe ihn überrascht, dass kein Polizist in einer der Chat-Gruppen gesagt habe: „Da steige ich aus, da mache ich nicht mehr mit.“

Die Ermittler in eigener Sache wurden am Mittwoch in Duisburg, Essen, Moers, Mülheim und Oberhausen vorstellig. Hinweise dafür, dass die mutmaßlich rechtsextreme Gesinnung der Beamten auch in ihrem Verhalten als Polizisten sichtbar wurde, gebe es bislang nicht. Eine der Chatgruppen sei wahrscheinlich bereits im Jahr 2012 gegründet worden, spätestens im Mai 2015. Unter den betroffenen Beamten seien auch Frauen und welche mit Migrationshintergrund.

dpa