Licht und Schatten in Night City: Cyberpunk 2077 im Gamescom Preview

Hinter verschlossen Türen erlaubte CD Project Red bei der Gamescom einen ersten Blick auf Cyberpunk 2077. Das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen.
Foto: CD Project Red
Foto: CD Project Red
Foto: CD Project Red

Hinter verschlossen Türen erlaubte CD Project Red bei der Gamescom einen Blick auf Cyberpunk 2077. Das Rollenspiel sieht bereits sehr gut aus, es gibt aber eine große Frage: Weiß Cyberpunk 2077 eigentlich, was es sein will?

Die Cyberpunk-Präsentation beginnt demokratisch: Der Mitarbeiter von CD Project Red lässt die Journalisten abstimmen, ob die Hauptfigur V ein Mann oder eine Frau sein soll. Das Votum ist eindeutig – eine Frau. Weil der vorgegebene weibliche Standard-Charakter einen Tick cooler aussieht. Aber man kann bereits im Charakter-Menü sehen, dass der Spieler viele Optionen hat, um die Figur nach eigenen Wünschen anzupassen. Nur die Geschlechtsmerkmale waren verpixelt.

„Ihr seht, wir sind noch nicht ganz fertig“, fängt der CD-Project-Mitarbeiter jede Frage dazu bereits im Vorfeld ab. Wie weit also die Freiheit der Charakter-Anpassung nachher gehen wird, lässt sich noch nicht sagen. Doch mein Bedürfnis auch noch Geschlechtsmerkmale zu verändern, hält sich sehr in Grenzen.

YouTube

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Youtube angezeigt werden.
Datenschutzseite

Einverstanden

Und dann geht es auch schon los. Es ist kein Video, sondern es wird live auf dem PC gespielt. In der Ego-Perspektive. V und ihr großer, muskulöser Partner Jackie, der Mann fürs Grobe, haben einen Auftrag übernommen: Sie sollen ein Mädchen finden, das von Schwarzmarkt-Händlern, die mit Implantaten handeln, entführt worden ist. Im Spiel soll es diverse Vorgehensweisen geben – einige sind mehr, andere weniger gewalttätig. Für die Präsentation aber hat sich CD Project Red für den actionreichen Weg entschieden. V und Jackie treten also eine Tür ein und schnell kommt es zum ersten Feuergefecht. Hier machen wir eine gedankliche Pause.

Zwischen Arm und Reich, Fleisch und Synthetik

Cyberpunk 2077 heißt: Die gewählten Regierungen waren unfähig, die Probleme der Welt zu lösen und sind zusammengebrochen. Mega-Konzerne haben 2077 die Macht übernommen, Auch in der Metropole Night City im Norden Kaliforniens. Dort haben die Konzerne ihr neoliberales Paradies geschaffen.

Das heißt: Die Reichen und Mächtigen leben in Luxus-Wolkenkratzen und abgeriegelten Bezirken. Alle anderen schlagen sich durch – in einer Welt voller Banden und Verbrecher-Syndikaten, voller Drogen und Prostitution. Und natürlich voller Implantate und Upgrades, mit denen die biologischen Grenzen der menschlichen Körper ausgehebelt werden. Die Spielfigur V ist ein Cyberpunk, die sich keinen geschrieben oder ungeschrieben Gesetzen unterwirft – sondern nach ihren eigenen Regeln lebt und sich mit legalen oder illegalen Aufträgen durchschlägt.

So weit zum Setting. Und wie sieht das nun aus? Optisch haut Cyberpunk 2077 den Zuschauer einfach um. Die Welt von Night City wirkt lebendig, echt und bereits nach nur ein paar Minuten atmosphärisch so dermaßen dicht, dass es den Atem verschlägt. Am ehesten lässt sich das mit „Grand Theft Auto V trifft auf Last of Us trifft auf Deus Ex“ beschreiben. Der Gang, in dem sich V am Anfang bewegt, ist schmutzig und verkommen. Die Wohnung der Schwarzmarkt-Händler ist eine Absteige. Es ist unglaublich, wie fertig zumindest der gezeigte Teil des Spiels bereits scheint.

CD Project RED fischt in Shooter-Gewässern

So weit die Lobeshymnen. Das Negative: So detailliert die Möglichkeiten sind, um den Charakter zu erstellen, letztendlich spielen wir in der Ego-Perspektive und sehen V gar nicht. Es könnte auch ein Wookie sein. Dafür laufen wir mit der Waffe vor der Nase rum wie in einem Ego-Shooter. CD Project Red hat diese Perspektive gewählt, weil der Spieler so tiefer ins Geschehen gezogen werden soll. Cyberpunk 2077 soll noch immersiver sein als „The Witcher“. Das ist rational nachvollziehbar.

Gefühlt aber wirkt es auf mich seltsam und nicht stimmig. Mit der Pistole in den Händen denke ich eben an einen Shooter. Und Cyberpunk macht dann noch jede Atmosphäre zunichte, wenn bei einem Treffer mit meiner Waffe viele, viele Zahlen beim Gegner aufpoppen. So wie bei Destiny oder Anthem. Das sind die Trefferpunkte. Es sind aber so viele, die so schnell wieder verschwinden, dass ich damit nichts anfangen kann. Es wirkt übertrieben, verspielt und sieht nach Anbiedern bei Shootern aus. Da wäre weniger tatsächlich mehr gewesen. Es ist so einfach nicht stimmig.

Gedankliche Pause beendet: V ist erfolgreich. Den schwer bewaffneten Anführer der Schwarzmarkt-Händler überwindet sie indes nur mit einer List. Jackie erwidert das Feuer, V selbst klettert auf den Balkon, schleicht bis zu einem Fenster und erschießt ihn dann von der Seite – während der Anführer sich nur auf die Vorderseite konzentriert hat. Danach wird der Erfolg gefeiert und V schleppt für einen One-Night-Stand einen Mann ab. Übrigens: Der männliche V schleppt da ebenfalls einen Mann ab. „Es ist ein erwachsenes Spiel für ein erwachsenes Publikum“ sagt der Präsentator.

YouTube

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Youtube angezeigt werden.
Datenschutzseite

Einverstanden

Minimalistisches User-Interface, Open World ohne Ladezeiten

Der nächste Morgen beginnt mit einer Zwischensequenz – in der Third-Person-Perspektive. Solche Sequenzen sind die einzige Möglichkeit euren Charakter tatsächlich zu sehen. Dann lockt ein lukrativer Auftrag eines Unterwelt-Bosses, und V bereitet sich vor. Es geht wieder in der Ego-Perspektive weiter. CD Project Red hat sich dabei viele Gedanken zum User-Interface gemacht, das beim First-Person-Blick nicht alles verdecken soll. Darum gibt es kontextabhängige Hinweise und Einblendungen.

Mit anderen Worten: Das User-Interface hält sich vornehm zurück, ist nie störend und dann da, wenn es gebraucht wird. Das alles wirkt bereits sehr flüssig und sehr gut umgesetzt – ebenso wie die lebendige Welt, die während der gesamten Präsentation nicht einmal von Ladezeiten unterbrochen wird: V tritt aus der Tür und nimmt den offenen Aufzug zu den unteren Etagen. Die ganze Zeit blickt sie auf die Stadt. Nichts ruckelt oder stottert.

V will den Auftrag des Unterwelt-Bosses natürlich gerne übernehmen, um endlich bei den ganz Großen mitzuspielen. Zuvor aber will der Unterwelt-Boss sie testen: Eine Bande von „Implantat-Süchtigen“, die nach und nach ihren ganzen Körper mit Hightech verändern, hat den Gefechtsbot eines Mega-Konzerns gestohlen und will ihn verkaufen. Das Problem: Der Unterwelt-Boss und die Bande kommen nicht miteinander klar. Er braucht einen Mittelsmann. Er gibt uns aber noch den dezenten Hinweis, dass der Mega-Konzern unbedingt wissen möchte, wer der Maulwurf ist, der den Waffentransport verraten hat.

Ab jetzt wird es kompliziert. V trifft sich mit der Vertreterin des Mega-Konzerns, die mächtig unter Druck steht. Der Verräter muss gefunden werden. V könnte sie und ihre Wachen töten, was sehr schwer ist. Oder V könnte für sie arbeiten. „Alles hat Konsequenzen in dieser Welt“, warnt der Präsentator. Tötet man die Agentin, macht man sich den Mega-Konzern bestimmt nicht zum Freund. V nimmt ihr Angebot also an: Sie bekommt einen Kreditkarten-Chip mit 50.000 „Eddies“: die Währung heißt Euro-Dollar oder kurz Eddie. Damit soll sie den Bot für den Unterwelt-Boss kaufen. Sie dürfe ihn dann auch behalten. Das sei Vs Belohnung. Sie muss nur sicherstellen, dass der Chip mit dem Netzwerk der Bande verbunden wird.

Okay, unsere Alarmglocken schrillen. Ein Computer-Virus? Und wieder hat man dann später die Wahl: Kauft man den Bot tatsächlich und warnt die Bande nicht. Oder warnt man sie doch? Oder streicht man das Geld selbst ein und tötet alle Bandenmitglieder?

Mit Schrotflinte, smarten Kugeln und Katana

In der Präsentation entscheiden wir uns dazu, die Bande zu warnen. Die untersuchen den Kreditkarten-Chip und finden tatsächlich ein Computer-Virus, das ihre Implantate befallen und sie alle getötet hätte. Als Dank für die Warnung bekommen V und Jackie den Bot quasi umsonst. Also alles gut – wenn nicht einer der Bandenmitglieder eine dumme Bemerkung über Vs Jacke machen würde. Sie und Jackie schauen sich an. Mit den 50.000 Eddies könnte sie sich bestimmt eine neue Jacke kaufen, meint Jackie.

Kurze Planänderung: V und Jackie töten nun doch alle Bandenmitglieder und klauen den nun virenfreien Kredit-Chip. Das Ergebnis ist ein Action-Feuerwerk, bei nicht nur eine Pistole eingesetzt wird, sondern eine Hightech-Schrottflinte oder eine Maschinen-Pistole mit smarten Kugeln, die ihre Ziele selbst finden.

„Gut für Spieler, die die nicht so schnell und gut zielen können“, sagt der Präsentator. V findet aber auch noch ein Katana, das nicht nur ein Schutzschild aufbauen kann, um vor Kugeln zu schützen. Es ist scharf. Sehr scharf. So scharf, dass V in einen Gegner rutscht und ihm sauber die Beine abtrennt. Der ruft noch erstaunt „meine Beine“. Die aber liegen neben ihm in einer großen Blutlache. Cyberpunk 2077 kann sehr brutal sein.

Am Ende steht dann der obligatorische Bosskampf gegen den Bandenchef. Der sieht in seiner Battlemech-Rüstung überaus mächtig aus. Das Gefecht selbst ist effektvoll umgesetzt, wirkt aber leider auch sehr übertrieben. Das passt nicht so ganz ins Gesamtbild des 21. Jahrhunderts und erinnert eher an Witcher 3.

V und Jackie fahren am Ende in den Sonnenuntergang. Der Unterwelt-Boss ist zufrieden mit ihr. Und da fällt dann ein Satz, der ein Ausblick auf die Story sein kann. V sagt: „Das war erst der Anfang, Jackie. Ich bin auf einem Kreuzzug.“ Was das genau heißt, wissen wir noch nicht. Aber Vs Ambitionen scheinen sehr viel weitreichender zu sein, als einfach nur zu überleben und lukrative Aufträge zu erledigen.

Unser erster Eindruck

Technisch kann das Gesehene schon ziemlich überzeugen. Man wird ohne großen Anlauf in die Welt gezogen. Die Atmosphäre stimmt einfach. Cyberpunk sieht umwerfend gut aus. Spielerisch aber wirkt das Rollenspiel stellenweise noch unentschlossen. Man könnte meinen, dass es da viele Ansätze bei CD Project Red gab, die aber noch nicht zueinandergefunden haben, um ein stimmiges Ganzes zu schaffen.

Der „Hitsplash“ mit den vielen umherschwirrenden Zahlen bei Treffern, der verzweifelt effektvolle Kampf gegen den Bandenboss – das wirkt ein Sammelsurium diverser Ideen. Da fehlt eine ordnende Hand. Die Ego-Perspektive dagegen wirkt vielleicht nur anfangs seltsam, und man kann sich möglicherweise mit der Zeit daran gewöhnen. Das wird man aber erst nach echten Tests wissen.