Das schreckliche Ende einer Party: So erlebte unser Autor die Loveparade-Tragödie im Jahr 2010

Es sollte die größte Party der Welt werden, doch die Loveparade 2010 endete in einer Katastrophe. So erlebte unser Autor den Tag in Duisburg.
Foto: TONIGHT.de/Vassilios Katsogridakis
Foto: TONIGHT.de/Vassilios Katsogridakis

Es sollte die größte Party der Welt werden, doch die Loveparade 2010 endete in einer Katastrophe. 19 Tote, mehr als 340 Verletzte (Stand: 25. Juli 2010) sowie zahlreiche Helfer und Augenzeugen, die die Bilder im Tunnel und auf der Rampe zum Gelände nie vergessen werden. Unser Autor Vassilios Katsogridakis, der zusammen mit dem Fotografen Benjamin Wirtz für TONIGHT.de von einem Float berichten wollte, schildert noch in der Nacht nach dem Unglück, wie er den 24. Juli 2010 in Duisburg erlebt hat.

[Dieser Artikel ist am 25. Juli 2010 erschienen und wurde aufgrund des Jahrestags im System auf das heutige Datum aktualisiert. Die Infos zur Zahl der Verletzten und Toten sowie weitere Erkentnisse zum Hergang der Tragödie wurden jedoch nicht aktualisiert.]

Die Vorfreude auf die Loveparde und die ersten Stunden auf der Mega-Party steht jetzt im krassen Gegensatz zu den Geschehnissen mit zahreichen Toten. Es ist schwer ohne große Emotionen und Trauer zu berichten und anderen, die nicht dabei waren zu erklären, was auf dem Duisburger Gelände passiert ist. 

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Als Benjamin und ich gemeinsam um 11.40 Uhr vom Düsseldorfer am Duisburger Hauptbahnhof ankamen, freuten wir uns auf einen schönen, unvergesslichen Tag mit vielen tollen Fotos und einmaligen Erinnerungen. Für Benjamin war es die erste Loveparade, während ich schon 2006 in Berlin feierte – die letzte Loveparade in der Hauptstadt. Damals wäre ich auch gerne auf einem Float mitgefahren. Vier Jahre später sollte es dann endlich so weit sein.

Mulmiges Gefühl im Tunnel der Karl-Lehr-Straße

Auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände war es glücklicherweise nicht so voll, wie wir uns das ausgemalt hatten. Erst an der Grabenstraße, auf Höhe des Seniorenheims, gab es ein erstes unangenehmes Gedränge. Grund dafür waren die Kontrollen am Einlass. Als wir diese passiert hatten, kamen wir schnell in den Tunnel der Karl-Lehr-Straße, wo Stunden später die Panik ausbrechen sollte. Zu dieser Zeit war es dort noch relativ leer, doch so richtig wohl war uns beiden dort trotzdem nicht. Denn schon bei einigen hundert Leuten im Tunnel wirkte dieser beengend und war mit unerträglichem Lärm und Geschrei gefüllt. Wir gingen im Eilschritt weiter und waren froh, als wir am Ausgang des Tunnels ankamen. Es gibt oft Situationen im Leben, wo man froh ist, dass diese endlich vorbei sind. Meist sind das nur kurze Gedankenspiele, die nach kurzer Zeit wieder verfliegen. So wie bei einem Flug, wenn der Flieger kurz in Turbulenzen gerät. Sobald man dann aber Boden sicher gelandet ist und alle klatschen, war es nur ein kurzes ungutes Gefühl, dass etwas schief gehen würde. Auch in diesem Fall war der Weg zum Gelände schon nach einigen Minuten vergessen und die Freude riesengroß. Denn auch das Wetter spielte mit und die Sonne strahlte mit allen Gästen um die Wette. 

Gegen 12.30 Uhr waren auf dem Areal der Loveparade zwar noch nicht so viele Besucher, es füllte sich jedoch bis 14 Uhr schlagartig. Laut Angaben der Veranstalter sollten 250.000 bis 350.000 Gäste auf das Gelände passen. Wenn man heute die Schätzungen der Organisatoren hört, dass 1,4 Millionen über den Tag verteilt dort waren und es bis 16 Uhr nur den rund 120 Meter langen und 16 Meter breiten Tunnel als einzigen Ein- und Ausgang gab – muss man mit dem Kopf schütteln. Unfassbar – selbst für einen Laien, was Großveraltungen anngeht. Ab 14 Uhr feierten und fotografierten wir auf dem „weißen“ Float der „Sensation“, während unsere Kollegen Ronny Hendrichs und Alexander Grebennikov mit ihren Kameras im Getümmel unterwegs waren, um Partyfotos von den Feiernden zu schießen. Diese Bilder werden aus Respekt vor den Toten und Verletzten auf TONIGHT.de nicht mehr veröffentlicht!

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So wie wir hatten auch hunderttausende Raver auf dem Gelände richtig Spaß. Friedlich und ausgelassen tanzten alle zu elektronischen Beats. Die Sonne knallte immer mehr, das Bier und andere Kalgetränke schmeckten dardurch noch besser und die Partystimmung erreichte schnell ihren Höhepunkt. Den Freunden zu Hause per SMS ein paar Bilder schicken? So gut wie unmöglich, denn viele Netze funktionierten gar nicht mehr, andere nur sehr bedingt.

„Scheiß VIPs. Macht mal Stimmung da oben oder tauscht mit uns den Platz!“

Gegen 16 Uhr verließ Benjamin den Float, um gemeinsam mit seinen beiden TONIGHT.de-Kollegen die Fotos in der Duisburger Lokalredaktion der RHEINISCHEN POST hochzuladen. Dort erfuhren sie auch von dem Unglück. Ich selbst habe von anderen Gästen auf dem Float etwas mitbekommen. So ganz habe ich aber nicht verstanden, was das heißen sollte. Bei der ersten Kurznachricht konnten und wollten wir den Inhalt der SMS noch nicht glauben. Doch als mehrere Feiernde im Umkreis ähnliche Nachrichten bekamen, sank die Partystimmung rapide auf einen Nullpunkt. Zumindest auf dem Float, das weiter seine Runden drehte. Wir setzten uns hin – kaum einer tanzte noch, während unten die Party normal weiterging und wir uns Sprüche anhören mussten, wie: „Scheiß VIPs. Macht mal Stimmung da oben oder tauscht mit uns den Platz!“

Besorgte SMS: „Geht es dir gut?“

Besorgte Freunde und Verwandte, die die Geschehnisse im Fernsehen verfolgten, versuchten die Float-Gäste – wie wahrscheinlich auch hunderttausende Feiernde – vergeblich zu erreichen. „Es soll zehn Tote und viele Verletzte in Duisburg geben. Geht es dir gut?“ Solche oder ähnliche SMS dürften millionenfach im überlasteten Mobilfunknetz stecken geblieben sein. Mein Akku hatte schon lange den Geist aufgegeben und so war ich auch nicht zu erreichen.  

Nach dem Unglück sollen bei der Notfall-Hotline über 560.000 Anrufe eingegangen sein, wobei allerdings nur knapp über 5.000 beantwortet werden konnten. Währenddessen lief die Loveparade – fast normal – weiter. Die Mehrheit der Feiernden wird wohl erst sehr viel später von dem Unglück erfahren haben. Aus Angst vor einer Massenpanik, so die Sicherheitskräfte vor Ort, sollten die Floats nämlich weiterrollen und alle so tun, als sei nicht passiert. 

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Gegen 19 Uhr wurden die Lücken auf dem Gelände immer größer, einige Gäste hatten mittlerweile auch den Float verlassen. Um 21 Uhr hielt die Polizei die Floats schließlich an, die Musik wurde abgestellt. Der Einlass-Stopp zeigte Wirkung und gemeinsam mit zwei anderen Düsseldorfern vom „Sensation“-Float einigten wir uns, dass 22 Uhr eine gute Zeit für die Abreise wäre. Lange genug nach dem Unglück und rechtzeitig um der großen Menschenmasse am Bahnhof zu entkommen.

Ordner anscheinend überfordert

Auf dem Weg zum Ausgang sprachen wir noch mit einem Ordner der privaten Loveparade-Security. Dieser erzählte uns, wie überfordert sowohl die tausend Sicherheitsleute, als auch die rund 4.000 Polizisten mit der Situation waren, als diese eskalierte. Anfangs soll die Mehrheit der Sicherheitskräfte zugeschaut haben, wie sich die Menschenmasse auf der Rampe am Ende des Tunnels drängte. Viele Ordner hätten sich hilflos gefühlt und auf die Polizei gehofft, die das Chaos „irgendwie regeln würde“. Doch bis auf vereinzelte Polizisten, die Gästen aus augenscheinlichen Gefahrensituationen halfen, wurde seiner Meinung nach viel zu spät aktiv in das Geschehen eingegriffen.

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Das Gelände konnte man jetzt durch diverse Notausgänge verlassen, nur der Tunnel war gesperrt. Auch am Duisburger Hauptbahnhof gab es eine Sperre, um den Personenstrom in den Bahnhof zu steuern. Auffallend war dabei die aggressive Stimmung unter den Besuchern. Alle waren erschöpft, hatten Durst, die Luft war stickig. Die ohnehin schon angespannte Stimmung wurde zunehmend unangenehmer. Der Wag nach Hause erschien wie die längste Rückreise, die ich je von einer Party hatte. Gegen 0.30 Uhr war ich wieder in Düsseldorf und kurze Zeit später wieder Zuhause. Total ausgelaugt, traurig darüber, dass nach den tollen Erlebnissen 2006 in Berlin die Geschichte Loveparade ein solch tragische Ende genommen hatte.

Als mein Handy wieder aufgeladen war, kam eine besorgte SMS nach der anderen an. Erst da habe ich eigentlich realisiert, was ich doch für ein Glück hatte. Wären wir nur zwei Stunden später losgefahren, dann wären wir wohl auch ins Gedränge gekommen. Es war ein langer Tag und eine lange Nacht mit den Gedanken an die, die sich genauso Glücklich auf den Weg gemacht haben, um zu feiern und nicht mehr Zuhause angekommen sind. 

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