Corona-Ausbruch bei Tönnies: Frust, Streit, offene Fragen

Hunderte Corona-Infizierte beim Schlachtbetrieb Tönnies in Ostwestfalen schrecken auf. Die Suche nach den Ursachen läuft unter Hochdruck. Eltern sind sauer.
Coronavirus-Ausbruch bei Tönnies
Foto: David Inderlied/dpa
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Hunderte Corona-Infizierte beim Schlachtbetrieb Tönnies in Ostwestfalen schrecken auf. Die Suche nach den Ursachen läuft unter Hochdruck. Eltern sind sauer. Im Unternehmen tobt ein interner Streit.

Nach dem Corona-Ausbruch mit mehr als 650 Neuinfizierten im Schlachtbetrieb des Branchenriesen Tönnies läuft die Ursachenforschung mit Hochdruck. Zugleich protestierten einige Eltern und Kinder am Donnerstag gegen die Schließungen von Schulen und Kitas im gesamten Kreis Gütersloh. Und im Unternehmen wurde intern heftig gestritten.

Deutschlands Marktführer bei der Schweine-Schlachtung hatte am Mittwoch nach dem Corona-Großausbruch seinen Hauptproduktionsbetrieb in Rheda-Wiedenbrück vorläufig stoppen müssen. Zudem hatte der Kreis verfügt, dass alle Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien wieder geschlossen werden, um eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung zu vermeiden.

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Der Leiter des Pandemiestabs bei Tönnies, Gereon Schulze Althoff, hatte die Kälte in der Produktion und die Heimreisen der Beschäftigten nach Osteuropa an den zurückliegenden langen Wochenenden – Pfingsten und Fronleichnam – als mögliche Faktoren für die Ausbreitung des Coronavirus genannt. Dazu meinte eine Expertin für Infektionskrankheiten am Donnerstag, sie halte es für „extrem unwahrscheinlich“, dass Hunderte Corona-Fälle auf solche Familienbesuche zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, so dass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, sagte Isabella Eckerle von der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf.

Und die Kälte? Als weitgehend gesichert gilt, dass die Ausbreitung des Virus derzeit durch einen Sommereffekt vermindert wird – allerdings wohl nur ein bisschen. Wie infektiös Aerosole unter Kühlhausbedingungen sind, lässt sich dagegen noch nicht sagen. Prinzipiell könnten sie sich in geschlossenen Räumen über Stunden halten und infektiös sein, erläuterte der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch.

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Unterdessen machten einige Familien ihrem Unmut über die Kita- und Schulschließungen Luft. Laut WDR protestierten einige Dutzend Eltern mit ihren Kindern auch vor dem privaten Tönnies-Anwesen in Rheda-Wiedenbrück. Auch vor dem Werk wollten Lehrer und Eltern protestieren. Bei der Polizei hieß es allerdings, es sei keine Demonstrationen angemeldet. Der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer (CDU), hatte die Schließungen als „probates Mittel“ bezeichnet. Er wisse aber, dass Eltern „jetzt sauer sind“. Für den gesamten Kreis will Adenauer einen allgemeinen Lockdown verhindern.

Der Corona-Ausbruch führte unterdessen auch zur nächsten Runde des schwelenden Streits der Inhaber: Robert Tönnies, Mitinhaber des Schlachtbetriebs, forderte in einem Brief den Rücktritt seines Onkels Clemens Tönnies aus der Geschäftsleitung. In dem Schreiben vom Mittwoch wirft Robert Tönnies der Geschäftsleitung und dem Beirat des Konzerns unverantwortliches Handeln sowie die Gefährdung des Unternehmens und der Bevölkerung vor. Robert Tönnies (42 Jahre) hält wie sein Onkel Clemens (64) 50 Prozent an dem Unternehmen. Seit Jahren streiten beide um Führung und Ausrichtung des Konzerns.

Clemens Tönnies, Gesellschafter von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies, muss nach dem starken Anstieg von Corona-Infizierten unter der Belegschaft am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück nicht in Quarantäne. „Clemens Tönnies ist auch nicht infiziert oder durch Corona krank geworden“, sagte Konzernsprecher André Vielstädte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.

Der 64-Jährige, beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 Vorsitzender des Aufsichtsrates, sei nach einem Krankenhausaufenthalt zwar wieder bei der Arbeit, aber noch nicht mit dem sonst üblichen Arbeitspensum, sagte der Sprecher. Mit Verweis auf die Privatsphäre wollte sich Vielstädte nicht zum Grund des Krankenhausaufenthalts äußern.

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Die Schweinemäster aus Westfalen-Lippe äußerten sich besorgt wegen der ausgesetzten Produktion. „Es wird vor allem darauf ankommen, wie sich das weiterentwickelt. Ein, zwei Wochen können die Bauern die Situation vergleichsweise verlustarm überbrücken. Dauert die Schließung länger, kommen auf die Schweinemastbetriebe Probleme zu“, sagte Hans-Heinrich Berghorn, Sprecher des westfälisch-lippischen Landwirtschaftsverbandes.

Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen haben in den vergangenen Monaten immer wieder Schlagzeilen gemacht und eine Debatte über die Missstände bei Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der häufig aus Osteuropa stammenden Beschäftigen ausgelöst.

dpa