„Cannabis light“ löst Boom in Italien aus

Weitgehend wirkungsloses Marihuana belebt die italienische Wirtschaft. Rechtlich bewegt man sich in einer Grauzone. Der Oberste Gerichtshof entscheidet.
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Weitgehend wirkungsloses Marihuana belebt die italienische Wirtschaft. Rechtlich bewegt man sich noch in einer Grauzone. Der Oberste Gerichtshof soll im nächsten Monat entscheiden.

Die Entwicklung sorgt für Schwindel, das Produkt weniger. Seit in Italien eine Light-Version von Cannabis verkauft wird, wittern Geschäftsleute lukrative Einnahmen. Beabsichtigt war diese Entwicklung zunächst nicht. Sie ist das Nebenprodukt eines Gesetzes, das Italien wieder zu einem der führenden Hersteller von Hanf-Produkten machen sollte. Doch dann schossen die Läden wie Pilze aus dem Boden, in denen man auch mutmaßlich wirkungsloses Cannabis kaufen konnte.

Vor vier Wochen entschied der Oberste Gerichtshof Italiens, dass es auch illegal sei, Hanf-Derivate zu verkaufen, die praktisch keine wahrnehmbare berauschende Wirkung erzeugten. In Tests und Kundenberichten hatte es immer wieder geheißen, dass die neuen Cannabis-Produkte kaum wirkten.

Trotzdem hat Innenminister Matteo Salvini den Hanf-Läden den Kampf angesagt. Landesweit werde er die Geschäfte schließen, „Straße für Straße, Laden für Laden“, kündigte er an. Es sei nicht „akzeptabel, dass es in Italien 1000 Läden gibt“, in denen Drogen legal verkauft würden. „Das ist abstoßend“, sagte Salvini.

Einige Ladenbesitzer wehren sich. Ein Geschäftsmann aus Caserta in Süditalien kettete sich diesen Monat an das Gitter um seinen geschlossenen Laden, nachdem die Polizei bei einer Razzia 16 Gramm Cannabis light bei ihm sichergestellt hatte.

Ein anderer Ladenbesitzer in San Remo schlug eine Sammelklage vor, um die Geschäftsleute vor Verlusten zu bewahren. „Ich habe eine Pizzeria geschlossen, um diesen Laden zu öffnen. Jetzt wollen sie, dass wir bankrottgehen“, sagte er der Nachrichtenagentur Ansa. „Das ist so, als würde man im Kampf gegen den Alkoholismus den Verkauf von alkoholfreiem Bier verbieten.“

„Cannabis light“ ist der griffige Name, den die Italiener den Derivaten mit einem niedrigen Gehalt an THC gegeben haben. THC ist die psychoaktive Komponente von Marihuana, die den Rausch auslöst. Hanf und Marihuana sind die gleiche Pflanze. Doch Wissenschaftler klassifizieren getrocknete Pflanzen mit einem THC-Gehalt von weniger als 0,3 Prozent als Hanf.

Aber im Dezember 2016 trat in Italien ein Gesetz in Kraft, das einen Wert von 0,6 Prozent gestattete. Damit sollten Hanfbauern mehr Spielraum bekommen, da der THC-Gehalt bei dem Naturprodukt immer wieder variieren kann, wie ein Sprecher des Lobbyverbandes Coldiretti erklärte.

Die Gesetzgeber gingen damals davon aus, dass die THC-Konzentration auch mit dem höheren Grenzwert nicht für eine berauschende Wirkung ausreichte. In einem Land mit einer lahmenden Wirtschaft sahen das trotzdem viele als eine Marktlücke.

Nach dem Inkrafttreten des Hanf-Gesetzes vor zweieinhalb Jahren war der Verkauf von Kosmetika und anderen Hanfprodukten legal. Geschenkshops, Verkaufsstände und Einzelhändler boten plötzlich Nudeln, Olivenöl und Eis mit dem Wirkstoff an. Weil Marihuana selbst noch illegal war, wurden die Produkte als nicht für den Verzehr vorgesehene „Sammlerstücke“ deklariert.

Das „Cannabis light“ hat nichts mit einer Legalisierung zu tun. Bei Marihuana, das Erwachsene in manchen Ländern etwa zur Schmerzbehandlung in Apotheken erhalten können, liegt der THC-Gehalt zwischen 5 und 35 Prozent.

Die neu entstandene Cannabis-Industrie rief in Italien den Obersten Gerichtshof auf den Plan. Ende Mai stellte das Gericht in einem vorläufigen Urteil fest, dass das Hanf-Gesetz von 2016 mit seinem erhöhten THC-Wert nicht für Cannabis-Blätter, Knospen oder andere Teile von Hanfpflanzen gelte. Der Verkauf solcher Produkte sei weiter illegal – egal, ob solche Produkte eine berauschende Wirkung hätten oder nicht.

Kurz nach der Entscheidung führte die Polizei in mehreren Städten Razzien durch, um verschiedene Läden zu überprüfen. Betreiber und Hersteller sind verunsichert. Ihre bangen Blicke richten sich auf den 30. Juli, wenn der Gerichtshof seine endgültige Entscheidung veröffentlicht. Dann wird sich zeigen, ob sie ihr lukratives Geschäft weiter verfolgen können – und womöglich sogar noch auf eine weitere Liberalisierung der Gesetze hoffen können, die auch wirkungsstärkeres Marihuana legalisiert.

Parlamentarische Vorstöße zur Lösung der Cannabis-Frage scheiterten bislang an starken Widerständen von Rechts. Die Fünf-Sterne-Bewegung, eine der beiden populistischen Regierungsparteien, erzürnte ihren Koalitionspartner Lega mit Cannabis-Gegner Salvini im vergangenen Jahr mit einem entsprechenden Versuch.

Claudio Miglio, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Drogenkriminalität, ist trotzdem optimistisch, dass der „Cannabis Light“-Markt weiter wachsen darf – und geht sogar noch weiter: „Die Hoffnung ist, dass der Markt, der die stärkste Kraft überhaupt ist, letztendlich die öffentliche Meinung über Marihuana beeinflussen wird, so wie es jetzt bei leichtem Cannabis passiert.“ (dpa)